Hans Walser

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Publiziert in: Mathematik Lehren. Heft 96, Oktober 1999. S. 47-50

Kurzfassung

Figurenfolgen entstehen entweder aufbauend durch schrittweises Ansetzen einer einfachen Grundfigur an eine bestehende Figur oder deduktiv durch Zerlegen einer Ausgangsfigur. Das Zerlegen kann dabei entweder rein geometrisch auf dem Zeichenpapier oder Bildschirm erfolgen oder aber durch wirkliches Zerschneiden oder Falten einer Papierfigur. Aus den Figurenfolgen entstehen Zahlenfolgen durch AuszŠhlen oder Ausmessen von LŠngen. Die entstehenden Figuren sind Spiralen und Fraktale, die zugeordneten Zahlenfolgen hŠufig geometrische Folgen.

Worum geht es?

Auf dem Tisch von Jonathan, dem TrŠumer, fand ich eine aus Papierrechtecken zusammengesetzte Spirale (Abb. 1a).

Abb. 1: Aus Rechtecken zusammengesetzte Spirale. Bauteile

Die Rechtecke sind aus einem Papierblatt im Format DIN A4 durch sukzessives Halbieren herausgeschnitten (Abb. 1b) und dann ãŸber EckÒ neu angeordnet worden.

Die FlŠcheninhalte der Rechtecke in den Formaten DIN A5, DIN A6, DIN A7, ...  bilden eine geometrische Folge mit dem Quotienten . Der gesamte FlŠcheninhalt der Spirale der Abbildung 1a ist der FlŠcheninhalt des ursprŸnglichen DIN A4 Papiers. Daraus wird ersichtlich, dass  ist.

Wir werden einige weitere Beispiele kennenlernen, wie aus einfachen Ausgangsfiguren durch Zerschneiden und Zusammensetzen, oft auch nur durch Falten, eine neue Figur entsteht.

Als Arbeitsmaterialien brauchen wir wie Jonathan Papier im DIN A4 Format, aber auch quadratisches Papier. Dazu kšnnen wir Origami-Papier verwenden oder einfach DIN A4 Papier, das wir auf einer Schneidemaschine auf quadratisches Format zuschneiden. Zur Herstellung einiger Figuren, insbesondere der Fraktale, ist eine Graphiksoftware mit einer Rasterung (zum Beispiel ClarisDraw) hilfreich. Der Quotient der geometrischen Folge wird dann als Skalierungsfaktor eingesetzt.

Das DIN A4 Format

Das DIN A4 Format — auch als Ostwaldsches Rechteck bezeichnet (Flachsmeyer 1990) — kann in verschiedener Hinsicht im Geometrieunterricht verwendet werden (Weber 1995) oder (Walser 1997). Es hat die Eigenschaft, dass sich beim Halbieren zwei zum Ausgangsrechteck Šhnliche Rechtecke ergeben (Abb. 2).

Abb. 2: Halbieren eines DIN A4 Papiers

Das gro§e Rechteck und die beiden kleinen haben daher dasselbe SeitenverhŠltnis. In Formeln hei§t das:

Daraus ergibt sich das SeitenverhŠltnis .

Wir falten nun ein DIN A4 Papier mehrfach und kreuzweise und falten dann das Papier wieder auf. Dadurch entsteht auf dem Papier ein Faltraster (Abb. 3a; wie oft ist dieses Papierblatt in jeder Richtung gefaltet worden?). In diesem Faltraster kšnnen wir nun mit einem Filzstift eine Baumfigur mit T-fšrmigen Verzweigungen einzeichnen (Abb. 3b).

Abb. 3: T-Fraktal im aufgefalteten DIN A4 Blatt

Wenn wir uns diese Verzweigungen bis ins Unendliche fortgesetzt denken, erhalten wir ein Fraktal, das wir das T-Fraktal nennen kšnnen. Diese Fortsetzung ins Unendliche ist eine Idealisierung, die in der RealitŠt nicht mšglich ist. In der Abbildung 4a sind zwar einige weitere Schritte eingezeichnet, aber es sind immer noch nur endlich viele.

Abb. 4: Baumfraktal und €ste

Wir halbieren nun das Blatt. In jeder HŠlfte erscheint ein Ast – den lŠngs halbierten Stamm lassen wir weg – der je eine Kopie des ursprŸnglichen Baumes im Ma§stab  ist (Abb. 4b). Auch dies gilt streng genommen nur, wenn wir uns die Figur ins Unendliche fortgesetzt denken.

Das -Rechteck

Das DIN A Format hat die Eigenschaft, dass sich beim Halbieren zwei zum Ausgangsrechteck Šhnliche Rechtecke ergeben. Wie muss ein Rechteck aussehen, das in drei zum Ausgangsrechteck Šhnliche Rechtecke unterteilt werden kann (Abb. 5a)?

Abb. 5: Drei Šhnliche Teilrechtecke

Wenn wir die Schmalseite als Einheit wŠhlen und die lange Seite mit x bezeichnen, ergibt sich die €hnlichkeitsbedingung

und daraus . Wir kšnnen nun je zwei der drei Teilrechtecke weiter unterteilen (Abb. 5b), und dann ein Fraktal bauen, in welchem das unzerteilte Rechteck jeweils der Zweig ist, an den je zwei der nŠchsten Generation angeheftet werden (Abb. 6). Jeder der beiden €ste ist eine Kopie des ganzen Baumes im Ma§stab . 

Abb. 6: Fraktal aus dem -Rechteck

Quadratisches Papier

ZunŠchst falten wir bei einem quadratischen Papier die vier Ecken in die Mitte hinein und falten das nun kleinere Quadrat mehrfach kreuzweise (Abb. 7).

Abb. 7: Falten des quadratischen Papiers

Auffalten liefert nun einen quadratischen Diagonalraster, in welchen wir ebenfalls ein Fraktal, diesmal nicht mit ãVer-zwei-gungenÒ wie bei der Abbildung 3b, sondern mit ãVer-drei-gungenÒ (Trifurkationen) eintragen kšnnen (Abb. 8). Hier ist es so, dass jeder der drei €ste des Baum-Fraktals eine Kopie des ganzen Baumes im Ma§stab  ist.

Abb. 8: Einzeichnen des Fraktals

Statt eines Linienfraktals kšnnen wir aus dem Quadrat aber auch ein FlŠchenfraktal herstellen. Dazu schneiden wir lŠngs einer Diagonale einmal eine HŠlfte ab. Die restliche HŠlfte zerlegen wir in vier rechtwinklig gleichschenklige Dreiecke (Abb. 9a), von denen wir zwei an die Basisecken des gro§en Dreieckes legen (Abb. 9b). Die restlichen zwei Dreiecke zerlegen wir wieder in je vier kleinere Dreiecke, von denen wir je zwei an die Basisecken der vorhergehenden Dreiecke legen und so weiter und so fort.

Abb. 9: Zerlegen eines Quadrates

Das mehrfache Auftreten des kleinen Wšrtleins ãjeÒ im obigen Satz hat zur Folge, dass die Anzahl der Dreiecke (und damit der Arbeitsaufwand) rasch anwŠchst. Bei jedem Schritt sind doppelt so viel Dreiecke zu behandeln wie im vorhergehenden. FŸr die Anzahlen der Dreiecke ergibt sich die geometrische Folge  der Potenzen mit der Basis 2. Wir haben ein exponentielles Wachstum.

DafŸr sieht das Resultat schšn aus. Die linke HŠlfte der Abbildung 10 zeigt das Fraktal, die spiegelbildliche rechte HŠlfte ist nur der €sthetik halber zugefŸgt worden. Es gibt verschiedene Mšglichkeiten, sich klar zu machen, dass sich in dieser Figur Schwarz und Wei§ die Waage halten.

Abb. 10: Quadratfraktal

Ansetzen von Quadraten

Statt Quadrate zu zerlegen wollen wir nun Quadrate spiralfšrmig um ein Startquadrat herum anordnen (Abb. 11a). Wir kšnnen natŸrlich ebensogut auf einem quadratischen Plattenboden durch HŸpfen auf benachbarte Platten eine (ãeckigeÒ) Spirale beschreiben. Dabei zŠhlen wir die Anzahl der Schritte und schreiben diese Anzahlen auf die Platten. Die Startplatte erhŠlt die Nummer Null (Abb. 11b).

Abb. 11: Spiralfšrmiges Ansetzen von Quadraten

Wir erkennen nun in den Spiralecken links oben die Folge der Quadrate der geraden Zahlen und rechts unten die ungeraden Quadratzahlen. Die Zahlen in den Ecken rechts oben und links unten sind das geometrische Mittel der beiden benachbarten Quadratzahlen. So ist zum Beispiel .  Diese Zahlen sind also von der Form . Wenn  wir statt nur einer Spirale vier gleiche Spiralen ansehen, welche simultan nach au§en laufen (Abb. 12), ergeben sich ausschlie§lich Quadratzahlen in den Ecken. Warum ist das so?

Abb. 12: Vier Spiralen

Statt aber immer nur ein Quadrat anzusetzen, was zu einer Spirale fŸhrt, kšnnen wir auch gleichzeitig auf allen vier Seiten je ein Quadrat anfŸgen. So entsteht ein Kreuz. Nun nehmen wir das mittlere Quadrat (also das Startquadrat) heraus und erhalten ein ãHohlkreuzÒ. Um dieses Hohlkreuz legen wir nun vier weitere Hohlkreuze und nehmen das mittlere Hohlkreuz wieder weg und so weiter (Abb. 13).

Abb. 13: Das Kreuz in der Mitte wird weggenommen

Die Anzahl der nach dem Entfernen des mittleren Hohlkreuzes noch vorhandenen Quadrate ist die Folge der Potenzen , also wiederum ein exponentielles Wachstum. Die Abbildung 14 zeigt, wie das einige Schritte spŠter aussieht.

Abb. 14: Hohlkreuz

 

Literatur

Flachsmeyer, JŸrgen:    Kniffliges am Ostwaldschen und goldenen Rechteck – Aus der  Geometrie des Papierfaltens. - In: Didaktik der Mathematik, 18 (1990) 2, S. 90-105.

Walser, Hans:               Ein Zusammenhang zwischen dem DIN-A-Format und dem goldenen Rechteck. - In: PM, Praxis der Mathematik, Kšln 39 (1997) 5, S. 197-198.

Weber, Wolfgang:         InkommensurabilitŠt von Seite und Diagonale im Quadrat. - In: PM, Praxis der Mathematik, Kšln 37 (1995) 5, S. 200-203.

 

Anschrift des Autors:

Dr. Hans Walser, Gerlikonerstrasse 29, CH 8500 Frauenfeld

hwalser@bluewin.ch