Hans Walser, [20131226]
Adam Ries
Es wird eine zufŠllig herausgegriffene Rechenaufgabe von Adam Ries untersucht. Dabei zeigt es sich, dass in der Lšsungsmethode von Adam Ries spŠtere grafische und iterative Methoden implizit vorweggenommen sind.
ãItem / einer fŸhret ghen Regenspurg von Wien 60. fuder Weins / gibt eins dem Zšlner / von welchem er widerumb 30. flor. empfahet. Nun kompt ein ander bringt 200. fuder / gibt dem Zšlner ein fuder vnd 20. fl. mehr. Die frag wie viel ein fuder ist werth gewesen? Setz 40. fl. sprich: 30. daruon / bleiben 10. die er dem Zšlner gegeben hat / sprich: 60. geben 10. fl. was geben 200? Facit 33. fl. vnd ein drittheil / sollten 60. fl. sey / leugt zu wenig 26. fl. vnd 2/3. Setz fort / ein fuder kost 50. fl. Examinir auch / so kommen minus 3. fl. ein drittheil / die lŸgen resolvir in theil / steht also:
40 —— 80
70
50 —— 10
Vollfuehre es / kommen
51. fl. vnd . So viel hat ein fuder Weins gekost. ã
(Ries Adam, 1574, S. 65, RŸckseite)
Da ich die von Adam Ries angegebene Lšsung zunŠchst nicht verstand, versuchte ich es mit Methoden, wie sie heute in den Schulen unterrichtet werden:
x = Wert eines Fuders Wein
p = Zollanteil
Damit gilt:
60px = x – 30
200px = x + 20
Wir haben ein nicht lineares Gleichungssystem fŸr x und p. Division ergibt:
Der Wert eines Fuders
Wein ist (offenbar
Druckfehler im Lšsungsteil des Originaltextes). Weiter erhalten wir, was Adam
Ries nicht gefragt hat,
. Der Zoll betrŠgt einen Zwšlftel von einem Zwšlftel,
also eins auf ein Gros.
Adam Ries arbeitet mit der Methode des ãfalschen AnsatzesÒ (regula falsi): Es wird eine beliebige Zahl als Lšsung fŸr den Wert eines Fuders Wein untersucht. Sie wird sich als falsch erweisen, aber wir erhalten eine Information Ÿber den Fehler. Nun wird eine zweite Zahl versucht. Aus der Information Ÿber die Fehler der beiden Versuche erhalten wir einen Hinweis, wie wir korrigieren mŸssen, um auf die richtige Lšsung zu kommen. Sprachlich muss im Konjunktiv gearbeitet werden.
In unserem Beispiel:
Wir versuchen es zunŠchst mit einem Wert von 40 fl. fŸr ein Fuder Wein.
Damit ergŠbe sich fŸr den ersten WeinhŠndler einen Zoll vom Wert eines Fuders minus 30 fl., also 10 fl. .
Hochrechung (von 60
Fuder auf 200 Fuder) ergŠbe fŸr den zweiten WeinhŠndler einen Zoll von . Andererseits mŸsste er den Werte eines Fuders plus
20 fl. , also 60 fl. Zoll bezahlen. Der Vergleich ergibt einen Fehlbetrag von .
Nun versuchen wir es mit einem Wert von 50 fl. fŸr ein Fuder Wein und rechnen analog durch.
Der erste WeinhŠndler
mŸsste einen Zoll von 20 fl. zahlen. Hochrechnung auf den zweiten HŠndler
ergŠbe . Andererseits mŸsste er 70 fl. Zoll bezahlen. Der
Fehlbetrag ist also noch
Jetzt fŠngt ein
fršhliches Rechnen in VerhŠltnissen an. Die Drittel lŠsst Adam Ries daher weg
(rechte Spalte in seiner tabellarischen Darstellung). Bei einer Erhšhung des virtuellen
Wertes eines Fuders Wein um 10 fl. reduziert sich der Fehlbetrag um 70 Einheiten
(die ãEinheitÒ ist jetzt ein Drittel). Da wir aber noch immer einen Fehlbetrag
von 10 Einheiten haben, mŸssen wir den Wert von 50 fl. fŸr ein Fuder Wein um erhšhen. Somit
ist der wirkliche Wert eines Fuders Wein
.
Bei dieser Rechnung wird stillschweigend angenommen, dass die Abnahme des Fehlbetrages linear von der Erhšhung des virtuellen Wertes abhŠngt. Die Abbildung 1 illustriert den Sachverhalt.
Solche grafische Verfahren wurden allerdings erst nach Adam Ries eingefŸhrt, etwa von Descartes.
Abb. 1: Lineare AbhŠngigkeit
Die Aufgabe von Adam Ries enthŠlt zwei Unbekannte, nŠmlich den Wert eines Fuders Wein und den Zollansatz.
Adam Ries hat mit dem Wert eines Fuders Wein gespielt.
Wir kšnnen aber auch alternativ mit dem Zollansatz sielen und wŠhlen also verschiedene Zahlen als virtuelle ZollansŠtze p.
Da fŸr den ersten
WeinhŠndler die Beziehung gilt,
ergibt sich in AbhŠngigkeit von p fŸr
den Wert x eines Fuders Wein (der
Index 1 soll andeuten, dass sich die Rechnung aus Sicht des ersten WeinhŠndlers
ergibt):
Aus der Sicht des
zweiten WeinhŠndlers ergibt wegen die
Beziehung:
Beim richtigen Wert fŸr
p mŸssten x1 und x2
Ÿbereinstimmen, ihre Differenz also null
sein.
Wir wŠhlen nun fŸr p die Werte der Tabelle 1, berechnen x1 und x2 sowie die Differenz.
p |
p gekŸrzt |
x1 |
x2 |
Differenz |
29/4608 |
|
48.20084 |
77.31544 |
29.11460 |
30/4608 |
5/768 |
49.23077 |
66.20690 |
16.97613 |
31/4608 |
|
50.30568 |
57.88945 |
7.58377 |
32/4608 |
1/144 |
51.42857 |
51.42857 |
0.00000 |
33/4608 |
11/1536 |
52.60274 |
46.26506 |
-6.33768 |
Tab. 1: Verschiedene Werte fŸr den Zollansatz
Wir sehen, dass p = 1/144 die richtige Lšsung ist, mit x = 51.42857. Da in unserer Versuchsanordnung fŸr p der richtige Wert auch vorhanden war, haben wir ihn entsprechend auch ãgefundenÒ. Die Frage ist natŸrlich, wie wir vorgehen sollen, wenn wir keine Informationen Ÿber den richtigen Wert von p haben.
Abb. 2: Die Punkte liegen nicht auf einer Geraden
Die Punkte liegen nicht auf einer Geraden.
Wenn wir trotzdem auf Grund zweier Startwerte mit einer Geraden arbeiten, erhalten wir nicht den richtigen Wert fŸr p, aber immerhin einen, der weniger falsch ist als die beiden Startwerte (Abb. 3).
Abb. 3: Falscher Wert
Wir kšnnen nun das Verfahren gemЧ Abbildung 4 mehrfach wiederholen und kommen dem richtigen Wert immer nŠher.
Abb. 4: Wiederholung des Verfahrens
Solche iterative Verfahren gehen auf Newton und Raphson zurŸck. Wir erhalten nie den exakten Wert, kšnnen aber den Fehler beliebig klein machen. FŸr praktische Zwecke ist dies gleich gut wie die Kenntnis des exakten Wertes.
Die Tabelle 2 gibt die Daten fŸr p nach der Approximation gemЧ der Abbildung 4 mit den beiden Startwerten p1 = 29/4608 = 0.006293402778 und p2 = 0.006510416667.
n |
pn |
1 |
0.006293402778 |
2 |
0.006510416667 |
3 |
0.006813919073 |
4 |
0.006919519207 |
5 |
0.006943079398 |
6 |
0.006944430397 |
7 |
0.006944444438 |
Tab. 2: Approximation des Zollansatzes
Wir sehen, dass sich die Werte dem richtigen Wert p = 1/144 = 0.006944444444 annŠhern.
á Das Beispiel von Adam Ries arbeitet mit VerhŠltnissen.
á Die Idee des falschen Ansatzes ist eine Vorwegnahme eines heuristischen Problemlšseverhaltens.
á Die Idee des falschen Ansatzes ist auch eine Vorwegnahme von algorithmischen Approximationsverfahren.
á Das Beispiel ist von der Problemstellung her nicht authentisch, da jeder WeinhŠndler zwischen Wien und Regensburg Ÿber die Zolltarife im Bild war. Der Zollanteil von ãeins auf ein GrosÒ war ja leicht zu merken. Das Beispiel hat †bungs- und/oder Scherzfrage-Charakter.
á Das Beispiel ist vom Sachverhalt her nicht realistisch, da in Siebteln angegebene Preise wohl auch damals nicht Ÿblich waren. Man rechnete allenfalls mit Sechsteln oder Zwšlfteln.
á Das Beispiel ist von den numerischen Daten her didaktisch ungeschickt. Die Zahl 10 kommt in unterschiedlicher Bedeutung vor, einmal als Schrittgrš§e der virtuellen Werterhšhung, und dann aber auch als Ÿbrigbleibender Fehlbetrag (in Dritteln).
Literatur
Prinz, Ina: Rechnen wie die Meister. Die RechenbŸcher von Johannes Widmann, Adam Ries, Christoff Rudolff und Johann Albrecht. EinfŸhrung zu den entsprechenden Faksimile Drucken. Arithmeticum Bonn. Nicolaische Verlagsbuchhandlung GmbH, Berlin 2009. ISBN 978-3-89479-492-7.
Ries, Adam: Rechenbuch auff Linien vnd Ziphren, in allerley Hanthierung, GeschŠfften vnnd Kauffmanschafft, Mit neuwen kŸnstlichen Regeln vnd Exempeln gemehret, Innhalt fŸrgestellten Registers. Visier vnd Wechselruthen kŸnstlich vnd gerecht zumachen, au§ dem Quadrat Durch die Arithmetic vnnd Geometri, von Erhart Helm, Mathematico zu Franckfurt, beschrieben. Alles von neuwem jetzunde wiederumb ersehen vnd Corrigiert. Franck. Bey. Chr. Egen. Erben. 1574. Frankfurt am Main.