Hans Walser, [20190330]
Archimedische Spirale
Es werden zwei falsche Grundvorstellungen im Kontext der archimedischen Spirale besprochen.
Die Abbildung 1 zeigt die archimedische Spirale.
Abb. 1: Archimedische Spirale
Die archimedische Spirale hat die Parameterdarstellung:
(1)
Eine falsche Grundvorstellung ist die Annahme, die
archimedische Spirale sei überall „gleich dick“. Der
Kreis, der sich einpassen lässt, habe überall den gleichen Durchmesser. Die
Abbildung 2 zeigt ein Gegenbeispiel (bestimmt mit CAS und DGS).
Abb.
2: Gleich große Kreise
Es sind
drei gleich große Kreise eingezeichnet, je mit dem Durchmesser 0.99. Die drei
Kreise berühren außen die Spirale. Dies ist durch die jeweilige Tangente
angedeutet.
Der
innerste Kreis (rot) schneidet die Spirale auf der dem Berührungspunkt gegenüberliegenden
Seite in zwei Punkten. Er ist also für das Einpassen an dieser Stelle zu groß.
Der
äußerste Kreis (blau) berührt schneidet die Spirale auf der Gegenseite nicht.
Er ist für das Einpassen an dieser Stelle zu klein.
Nach dem
Zwischenwertsatz von Bolzano gibt es dazwischen eine Stelle, wo der Kreis auf
der Gegenseite gerade noch berührt (grün).
Eine Figur, die insinuiert, eine Folge von gleichen Kreisen sei einer archimedischen Spirale eingepasst (Abb. 3), ist also gemogelt.
Abb. 3: Gemogelte Figur
Es ist ebenso prinzipiell falsch, ein aufgewickeltes Seil konstanter Dicke als archimedische Spirale zu modellieren (Abb. 4).
Abb. 4: Unsicheres Kletterseil
Die Abbildung 5 zeigt die archimedische Spirale gemäß der Parameterdarstellung (1), mit Farbwechseln.
Abb. 5: Farbwechsel
Für ergibt sich der erste Bogen (blau), für
der zweite Bogen (rot) und so
alternierend weiter.
Eine falsche Grundvorstellung ist die nun Annahme, die
jeweiligen Bogenlängen von Farbwechsel zu Farbwechsel bildeten eine
arithmetische Folge mit dem Zuwachs 2π.
Dies kann numerisch widerlegt werden. Aus (1) ergibt sich das Bogenelement:
(2)
Der n-te Bogen hat daher die Länge:
(3)
Die Tabelle 1 gibt die ersten numerischen Werte.
n |
Bogenlänge |
Zuwachs |
0 |
3.383044285 |
– |
1 |
9.479749375 |
6.096705090 |
2 |
15.74019423 |
6.260444855 |
3 |
22.01402936 |
6.27383513 |
4 |
28.29208540 |
6.27805604 |
5 |
34.57202478 |
6.27993938 |
6 |
40.85296955 |
6.28094477 |
7 |
47.13451475 |
6.28154520 |
8 |
53.41644718 |
6.28193243 |
9 |
59.69864408 |
6.28219690 |
10 |
65.98102985 |
6.28238577 |
11 |
72.26355480 |
6.28252495 |
12 |
78.54618558 |
6.28263078 |
13 |
84.82889878 |
6.28271320 |
14 |
91.11167695 |
6.28277817 |
15 |
97.39450765 |
6.28283070 |
16 |
103.6773804 |
6.28287275 |
17 |
109.9602912 |
6.2829108 |
18 |
116.2432306 |
6.2829394 |
19 |
122.5261956 |
6.2829650 |
20 |
128.8091822 |
6.2829866 |
Tab. 1: Bogenlängen und Zuwachs
Wir
sehen, dass der Zuwachs nicht
konstant ist. Wir haben daher keine
arithmetische Folge. Hingegen ist zu vermuten, dass sich der Zuwachs der Zahl annähert.
Die beiden oben beschriebenen falschen Grundvorstellungen lassen sich mit pseudoarchimedischen Spiralen beheben. Diese sind aus Kreisbogen zusammengesetzt.
Dazu als Einstiegshilfe eine Kreisschar.
Die Abbildung 6 zeigt eine äquidistante Kreisschar.
Trivialerweise lassen sich Kreise mit dem Durchmesser 1 einpassen.
Abb. 6: Kreisschar
Da die
Radien von Kreis zu Kreis um eins zunehmen, nehmen die Umfänge um zu. Wir haben eine arithmetische Folge.
Die
Abbildung 7 zeigt nun eine pseudoarchimedische Spirale. Sie ist aus Halbkreisen
zusammengesetzt. Die oberen Halbkreise haben den Punkt als Zentrum und echt halbzahlige Radien.
Die unteren Halbkreise haben den Koordinatenursprung als Zentrum um und
ganzzahlige Radien.
Der Abstand zwischen den Kurven ist eins, es lassen sich Kreise mit dem Durchmesser eins einpassen.
Abb. 7: Pseudoarchimedische Spirale aus Halbkreisen
Wir
berechnen die Bogenlängen von Farbwechsel zu Farbwechsel, oder anders gesagt zwischen
den Kurvenpunkten mit den Koordinaten .
Wir erhalten die Werte der Tabelle 2.
n |
Farbe |
Bogenlänge |
Zuwachs |
0 |
blau |
|
|
1 |
rot |
|
|
2 |
blau |
|
|
3 |
rot |
|
|
Tab. 2: Bogenlängen und Zuwachs
Der
Zuwachs von Runde zu Runde ist .
Wieder eine arithmetische Folge.
Analoges gilt für eine aus Drittelkreisen zusammengesetzte pseudoarchimedische Spirale (Abb. 8). Die Zentren sind die Eckpunkte des gelb eingezeichneten regelmäßigen Dreieckes. Der Umfang dieses Dreieckes ist eins.
Abb. 8: Aus Drittelkreisen zusammengesetzt
Wir können die pseudoarchimedische Spirale entstanden denken wie folgt. Um das Dreieck wickeln wir einen (unendlich dünnen) Faden. Dann wickeln wir ihn wieder ab und zeichnen die Bahnkurve des Fadenendes.
Die Abbildung 9 zeigt die analoge aus Viertelkreisen zusammengesetzte pseudoarchimedische Spirale. Die Zentren der Viertelkreise sind die Ecken eines Quadrates mit dem Umfang eins.
Abb. 9: Viertelkreise
Wir
können die Eckenzahl des regelmäßigen Vieleckes im Zentrum beliebig erhöhen.
Dabei soll der Umfang immer eins bleiben. Die Längen der einzelnen Umläufe von
Farbwechsel zu Farbwechsel bilden eine arithmetische Folge mit dem Zuwachs .
Und wir können überall Kreise mit dem Durchmesser eins einpassen.
Die
Abbildung 10 zeigt die Situation für die Eckenzahl .
Wir haben im Zentrum einen gelben Kreis mit dem Umfang eins. Die Abwickelkurve
wird in diesem Kontext als Evolvente (oder
Involute) bezeichnet.
Abb. 10: Evolvente
Auf Grund
einer Grenzwertüberlegung erhalten wir für die Bogenlängen von Farbwechsel zu
Farbwechsel wiederum eine arithmetische Folge mit dem Zuwachs .
Wer der
Grenzwertüberlegung nicht traut, ist zur Rechnung eingeladen. Die Evolvente der
Abbildung 10 hat mit folgende Parameterdarstellung:
(4)
Für ergibt sich der erste Bogen (blau), für
der zweite Bogen (rot) und so
alternierend weiter.
Ferner ist:
(5)
Für das Bogenelement erhalten wir also:
(6)
Der n-te Bogen hat daher die Länge:
(7)
Das ist
eine arithmetische Folge mit dem Zuwachs .
Weblinks
Hans Walser: Evolvente
http://www.walser-h-m.ch/hans/Miniaturen/E/Evolvente/Evolvente.htm
Hans Walser: Karo-Spirale
http://www.walser-h-m.ch/hans/Miniaturen/K/Karospirale/Karospirale.htm