Hans Walser, [20200112]

FlŠchenwinkel

Anfrage und Anregung: L. H., B.

1   Problemstellung

ãErlŠutern Sie Strategien zur Bestimmung von FlŠchenwinkeln bei halbregulŠren und regulŠren PolyedernÒ.

2   Vorbemerkungen

Der FlŠchenwinkel wird auch als Diederwinkel bezeichnet.

2.1  Symmetrien

Aus SymmetriegrŸnden sind die meisten (oder sogar alle) FlŠchenwinkel gleich.

RegulŠre und halbregulŠre Polyeder haben fast immer einen Symmetriebezug zum WŸrfel.

2.2  Spezielle Lage

Spezielle Lage im Koordinatensystem: Mittelpunkt im Ursprung. Koordinatenebenen als Symmetrieebenen. Es mŸssen dann nur wenige Ecken koordinatenmŠ§ig bestimmt werden, der Rest folgt aus der Symmetrie.

3   Standardverfahren

3.1  Normalvektoren

Der Schnittwinkel zweier Ebenen ist gleich dem Winkel zwischen den zugehšrigen Normalvektoren. Mit Skalarprodukt berechenbar. Vorsicht: Oft ergibt sich der Au§enwinkel des Polyeders.

Berechnung der Normalvektoren:

Ebene in Koordinatengleichung gegeben: Koeffizienten von x, y, z liefern einen Normalvektor.

Ebene in Parameterform gegeben: Das Crossproduct (Vektorprodukt) zweier Richtungsvektoren ist ein Normalvektor.

Sonderfall: Bei regulŠren und halbregulŠren Polyedern ist der Normalvektor einer SeitenflŠche parallel zum arithmetischen Mittel der Vektoren vom Mittelpunkt des Polyeders zu den Eckpunkten der SeitenflŠche. Dies aus SymmetriegrŸnden.

3.2  Schnittebenen

Kšrper mit (Mittel-)Normalebene einer Kante schneiden. Der Winkel zwischen den Schnittgeraden ist der FlŠchenwinkel.

3.3  Spezielle Sicht

Polyeder so ansehen, dass zwei SeitenflŠchen mit gemeinsamer Kante nur noch als Strecken gesehen werden. Die gemeinsame Kante wird dann nur noch als Punkt gesehen. Der Winkel zwischen den Strecken ist der FlŠchenwinkel.

3.4  SphŠrische Trigonometrie

Wir arbeiten mit einer Einheitskugel mit einer Polyederecke als Zentrum. Dort anschlie§ende SeitenflŠchen schneiden ein (halb-)regulŠres sphŠrisches Vieleck aus der Kugel. Die Innenwinkel der SeitenflŠchen des Polyeders sind die SeitenlŠngen des sphŠrischen Vielecks. Die Innenwinkel des sphŠrischen Vielecks sind die FlŠchenwinkel des Polyeders. Diese Innenwinkel sind mit sphŠrischer Trigonometrie berechenbar. Meist genŸgt der sphŠrische Seiten-Kosinus-Satz.

4   Komposition und Dekomposition

Beispiel: Wenn wir einem Oktaeder ein Tetraeder aufsetzen, ergibt sich eine durchgehende Ebene. Daher sind die FlŠchenwinkel von Oktaeder und Tetraeder ErgŠnzungswinkel auf 180¡. Wenn der eine FlŠchenwinkel bekannt ist, kann der andere berechnet werden.

5   Beispiele

5.1  Kuboktaeder

Die Abbildung 1a zeigt ein dem blauen WŸrfel einbeschriebenes schwarzes Kuboktaeder. Der Koordinatenursprung ist im Mittelpunkt des WŸrfels und des Kuboktaeders. Auf den Achsen sind die Einheitspunkte angegeben. Das hei§t, der WŸrfel hat die KantenlŠnge 2.

Abb. 1: Kuboktaeder

Aus der Abbildung 1a lassen sich die Eckpunktkoordinaten drei Eckpunkte mit nicht negativen Koordinaten ablesen. Die Koordinaten der Ÿbrigen neun Eckpunkte ergeben sich rein kombinatorisch durch geeignete Wahl der Vorzeichen:

 

                                             (1)

 

 

 

 

 

 

Aus SymmetriegrŸnden sind alle FlŠchenwinkel gleich gro§. Wir berechnen den FlŠchenwinkel zwischen dem gelben Quadrat und dem roten Dreieck der Abbildung 1b.

5.1.1 Normalvektorenmethode

Das gelbe Quadrat hat den Normalvektor:

 

                                                                                                                            (2)

 

 

 

 

Das sehen wir einfach. †bungshalber berechnen wir es auch noch. Die Vektoren vom Mittelpunkt zu den vier Ecken des gelben Quadrates sind wegen (1):

 

                                                                             (3)

 

 

 

 

Das arithmetische Mittel dieser vier Vektoren ist der Vektor (2).

Das rote Dreieck hat den Normalvektor:

 

                                                                                                                             (4)

 

 

 

 

Auch hier berechnen wir das Ÿbungshalber. Die drei Vektoren vom Mittelpunkt zu den drei Eckpunkten des roten Dreiecks sind:

 

                                                                                               (5)

 

 

 

 

Das arithmetische Mittel dieser drei Vektoren ist:

 

                                                                                                                           (6)

 

 

 

 

 

Dieser Vektor ist parallel zum Vektor (4).

FŸr die Winkelberechnung ist die LŠnge der Normalvektoren belanglos. Wir arbeiten daher mit den einfachsten Beispielen, also (2) und (4). Nach der Zwischenwinkelformel ist:

 

                   (7)

 

 

 

 

 

 

Dies ist, als spitzer Winkel, der Au§enwinkel. FŸr den Innenwinkel mŸssen wir auf 180¡ ergŠnzen und erhalten etwa 125.2644¡.

5.1.2 Spezielle Sicht

Wir gucken das schwarze Kuboktaeder mitsamt dem blauen WŸrfel so an, dass wir das gelbe Quadrat und das rote Dreieck nur noch je als Strecke und die gemeinsame Kante dazwischen nur noch als Punkt sehen (Abb. 2).

Abb. 2: Spezielle Sicht

Der WŸrfel erscheint jetzt in horizontaler Richtung mit dem Faktor  auseinandergezogen. Das Kuboktaeder lŠsst sich problemlos einzeichnen.

Nun kšnnen wir mit dem Transporteur den Winkel zwischen der gelben und der roten Strecke (Abb. 2a) messen.

Oder wir kšnnen den Au§enwinkel  trigonometrisch gemŠ§ Abbildung 2b berechnen. Im rosa eingezeichneten Dreieck ist:

 

                                  (8)

 

 

 

Das hatten wir schon bei (7).

5.1.3 ErgŠnzungsmethode

Das Kuboktaeder kann hergestellt werden durch Abschneiden der Ecken von einem Oktaeder. Nun setzen wir umgekehrt eine solche Ecke wieder an, das hei§t wir mŸssen eine Pyramide aufsetzen (Abb. 3a). Die SeitenflŠchen der Pyramide sind gleichseitige Dreiecke.

Abb. 3: Pyramide aufsetzen

Die vordere SeitenflŠche der Pyramide liegt in einer Ebene mit dem roten Dreieck. Die Pyramide hat die Hšhe 1 und die KantenlŠnge . Damit lŠsst sich der Neigungswinkel einer SeitenflŠche gegenŸber dem Boden (also dem gelben Quadrat) berechnen. Als Hilfsmittel dient das in der Abbildung 3b eingezeichnete rosa Dreieck. Es ist rechtwinklig, hat eine Kathete 1 (die Pyramidenhšhe) und die andere Kathete . Es ist also dasselbe Dreieck wie das in der Abbildung 2b eingezeichnete rosa Dreieck. Somit erhalten wir wiederum den schon bekannten Au§enwinkel.

Bemerkung 1: Die aufgesetzte Pyramide ist ein halbes Oktaederchen (Abb. 4a). Wenn der FlŠchenwinkel des Oktaeders bereits bekannt ist, erhalten wir durch Halbieren den Neigungswinkel gegenŸber dem gelben Quadrat und damit den Au§enwinkel des Kuboktaeders. Das ist die Methode ãAnsetzen an BekanntesÒ.

Bemerkung 2: Da wir jetzt den Au§enwinkel  schon kennen, erhalten wir durch Verdoppeln den FlŠchenwinkel des Oktaeders:

 

                                                                             (9)

 

 

 

Dies ist der berŸhmte ãkristallografische WinkelÒ. Er spielt in der Kristallografie eine wichtige Rolle. Der ErgŠnzungswinkel auf 180¡, also der Winkel von etwa 70.5288¡, ist der FlŠchenwinkel des Tetraeders. Dies wird sofort klar, wenn wir auf eine SeitenflŠche des Oktaeders ein Tetraeder aufsetzen.

Bemerkung 3: Wenn wir in einem DIN A4-Papier die beiden Diagonalen einzeichnen, ergeben sich als Schnittwinkel der kristallografische Winkel und sein ErgŠnzungswinkel auf 180¡, also die beiden Winkel von etwa 109.4712¡ und 70.5288¡ (Walser 2013).

Abb. 4: Oktaederchen. WŸrfelecke

Bemerkung 4: Wer Lust hat, kann versuchen, statt der abgeschnittenen Oktaederecke eine abgeschnittene WŸrfelecke zu rekonstruieren (Abb. 4b). Wir erhalten wieder das rechtwinklige rosa Dreieck der Abbildungen 2b und 3b.

5.2  Tetraeder

Dies ist ein Beispiel zur Verwendung der sphŠrischen Trigonometrie.

Wir beginnen mit dem Tetraeder (Abb. 5.1).

Abb. 5.1: Tetraeder

An den Ecken des Tetraeders setzen wir blaue Kugeln mit dem Radius 1 an (Abb. 5.2).

Abb. 5.2: Kugeln

Nun nehmen wir die Schnittfiguren des Tetraeders mit den Kugeln (Abb. 5.3).

Abb. 5.3: Schnittfiguren

Wir erhalten blaue sphŠrische Dreiecke (Abb. 5.4). Die gleichseitigen Seitendreiecke des Tetraeders haben Winkel von 60¡ und ergeben daher fŸr die blauen sphŠrischen Dreiecke eine SeitenlŠnge von . Dies ist das zu 60¡ gehšrende Bogenma§; die blauen Kugeln haben ja den Radius 1. Der in der Abbildung 5.4b eingezeichnete Winkel  ist der gesuchte FlŠchenwinkel des Tetraeders. Dies ist darum so, weil die Kreisbšgen der roten Sektoren rechtwinklig auf die Tetraederkanten auftreffen.

Abb. 5.4: SphŠrisches Dreieck

FŸr die Berechnung von  verwenden wir den sphŠrische Seiten-Kosinus-Satz. Dieser lautet allgemein in der Ÿblichen Bezeichnung:

 

                                               (10)

 

 

 

Auffallend ist, dass in der sphŠrischen Trigonometrie auch die Dreiecksseiten a, b, c als Inputs der Funktionen cos und sin erscheinen.

In unserem Fall ist . Wir erhalten also aus (10):

 

                                             (11)

 

 

 

 

 

 

 

Daraus ergibt sich:

 

                                                                                      (12)

 

 

 

6   Empirisches Vorgehen

Modell bauen. Winkel messen.

Der Modellbau gibt Hinweise auf die Berechnung der FlŠchenwinkel.

Die empirische Messung kann auch als Kontrolle der Rechnung dienen.

7   Warnungen

Es gibt keine schšne Formel fŸr FlŠchenwinkel (Etwa in Analogie zur den Winkeln eines ebenen Vielecks, zum Beispiel dass die Summe der Innenwinkel des Dreiecks immer 180¡ ist).

Duale Kšrper haben nicht dieselben FlŠchenwinkel.

8   Sprachliches

Das Modewort ãStrategieÒ ist ein militŠrischer Ausdruck. FŸr die Mathematik nicht geeignet. Alternativen: ãMethodeÒ, ãVerfahrenÒ, ãVorgehensweiseÒ, ãLšsungswegÒ

 

 

Websites

 

Hans Walser: SphŠrische Trigonometrie

http://www.walser-h-m.ch/hans/Miniaturen/S/Sphaer_Trigo/Sphaer_Trigo.pdf

 

Hans Walser: Formeln fŸr die sphŠrische, euklidische und hyperbolische Geoemtrie

http://www.walser-h-m.ch/hans/Miniaturen/F/Formeln/Formeln.htm

 

 

Literatur

Walser, Hans (2013): DIN A4 in Raum und Zeit. Silbernes Rechteck – Goldenes Trapez – DIN-Quader. Leipzig: EAGLE, Edition am Gutenbergplatz. ISBN 978-3-937219-69-1.

Walser, Hans (2017): EAGLE STARTHILFE Kartografie. Edition am Gutenbergplatz, Leipzig. ISBN 978-3-95922-098-9.

Walser, Hans (2018): Der WŸrfel. Ansichten – Dimensionen – Modelle. Edition am Gutenbergplatz, Leipzig 2018. ISBN 978-3-95922-102-3.