Hans Walser, [20130119a]

Schlinge um Kreis

Anregung: R. S., Z.

1     Die Uralt-Aufgabe

Um einen Kreis mit Radius r wird eine Schlinge im Abstand 1 gelegt (Abb. 1). Wie lang ist die Schlinge im Vergleich zum Kreisumfang?

Abb. 1: Schlinge um Kreis im Abstand 1

Rechnung ergibt:

 

 

Die Differenz  ist vom Kreisradius r unabhŠngig.

UrsprŸnglich wurde diese Aufgabe allerdings in der inversen Form serviert: Die Schlinge ist um 1 lŠnger als der Kreisumfang. Wie weit ist sie vom Kreis entfernt?

2     Polygon

Wir machen dasselbe mit einem konvexen Polygon (Abb. 2).

Abb. 2: Abstandskurve um Polygon

Wir zerlegen die Schlinge in gerade StŸcke und Kreisbšgen (Abb. 3).

Abb. 3: Zerlegung

Die geraden StŸcke haben insgesamt die gleiche LŠnge wie der Umfang des Polygons. Die Kreisbšgen machen insgesamt den Einheitskreis aus. Damit ist , unabhŠngig von Form und Grš§e des Polygons.

Den Kreis kšnnen wir als Grenzfall eines regelmŠ§igen n-Ecks mit  sehen.

Frage 1: Wie ist das bei nicht-konvexen Polygonen?

Frage 2: Gesucht ein Beispiel mit .

Frage 3: Wie gro§ ist  beim Kreisring (Abb. 4).

Abb. 4: Kreisring

3     Parallelpolygon

Die Schlinge wird gemŠ§ Abbildung 5 ausgelegt. Die Strecken der eckigen Schlinge sind parallel zu den Polygonseiten mit dem Abstand 1.

Frage 4: Haben die Punkte der eckigen Schlinge immer noch den Abstand 1 vom Polygon?

Frage 5: Ist die eckige Schlinge Šhnlich zum Polygon?

Abb. 5: Eckige Schlinge

Wie lang ist die eckige Schlinge im Vergleich zum Umfang des Polygons?

NatŸrlich kšnnen wir wieder an den Ecken ausschneiden und die Schnipsel neu zusammenfŸgen (Abb. 6).

Abb. 6: Ecken einschneiden und neu zusammenfŸgen

Die Eckenfigur hat einen Inkreis mit dem Radius 1. Der Umfang dieser Eckenfigur, also unser , ist keine Konstante mehr, sondern hŠngt von den Winkeln des Polygons ab. Immerhin haben wir eine AbschŠtzung: . Zwei Polygone mit denselben Winkeln haben dasselbe .

Frage 6: Sind Polygone mit denselben Winkeln Šhnlich?

Zur Berechnung von  benštigen wir also die Winkel des Polygons. Es ist technisch einfacher, mit den Au§enwinkeln  (fŸr ein Polygon mit n Ecken) zu arbeiten. Mit etwas Trigonometrie ergibt sich:

 

 

Frage 7: Wie lautete diese Formel fŸr ein regelmŠ§iges n-Eck? Was geschieht bei ?

4     Rund um die Erde

Frage 8: Hat Magellan wirklich die Erde umrundet?

Die Schlingenaufgabe wird oft im Zusammenhang mit der Erdkugel formuliert: Wie viel lŠnger als der Erdumfang ist die Schlinge im Abstand 1m von der Erde? Dabei wird stillschweigend vorausgesetzt, dass die Schlinge als Abstandskurve von einem Gro§kreis der Erdkugel genommen wird, zum Beispiel vom €quator. In diesem Fall ist natŸrlich .

Frage 9: Wie ist es, wenn die Schlinge 1m senkrecht oberhalb eines Breitenkreises um die Erde gelegt wird? Vorstellung: Auf PfŠhlen in der Hšhe 1m. In der Abbildung 7 ist die Situation fŸr die geografische Breite  dargestellt, allerdings ist die Erdkugel viel zu klein gezeichnet. Eher der Planet des Petit Prince.

Abb. 7: Schlinge um die Kugel auf 60¡ Nord und 1m Hšhe

Frage 10: Wie ist es, wenn die Schlinge 1m sŸdlich des Breitenkreises auf der ErdoberflŠche um die Erde gelegt wird? In der Abbildung 8 ist die Situation fŸr die geografische Breite  dargestellt, allerdings ist die Erdkugel viel zu klein gezeichnet.

Abb. 8: Schlinge 1m sŸdlich des Breitenkreises 60¡ Nord

5     Andere Dimensionen

Wir ersetzen die Schlinge um die Kugel durch einen Sack (im Abstand 1) um die Kugel. In der Abbildung 9 ist der halbe Sack gezeichnet.

Abb. 9: Die Kugel im Sack

Wie gro§ ist die FlŠchendifferenz  zwischen der ganzen SackflŠche und der KugeloberflŠche? Wir erhalten:

 

 

 hŠngt linear von r ab.

Frage 11: Wie ist es in der nŠchsten Dimension?

6     Bearbeitung der Fragen

Bearbeitung der Frage 1: Bei nicht-konvexen Polygonen gibt es keine Konstante fŸr .

Abb. 10: Nicht-konvexe Beispiele

Im Beispiel der Abbildung 10a) ist .

Im Beispiel der Abbildung 10b) ist .

Bearbeitung der Frage 2: Es gibt viele Lšsungen. Die Abbildung 11 zeigt ein Beispiel. In diesem Beispiel ist .

Abb. 11: SchlingenlŠnge = Umfang

Bearbeitung der Frage 3: Es sei R der Au§enradius und r der Innenradius (Lochradius) des Kreisringes. Fallunterscheidung bezŸglich r:

(I) : In diesem Fall ist .

(II) : Wir erhalten . Dies ist abhŠngig von r.

Bemerkung: Die ãhŠsslichenÒ FŠlle der Abbildungen 10b) und 11 kšnnen umgangen werden, wenn wir den kanonischen Abstand 1 durch den Abstand  ersetzen und dann den Grenzwert

 

 

bestimmen. FŸr den Fall des Kreises ergibt sich , also soweit nichts neues.

Allgemein kommen wir so zum Konzept der integralen KrŸmmung.

Bearbeitung der Frage 4: Im Bereich der Ecken ist der Abstand vom Polygon grš§er als 1.

Bearbeitung der Frage 5: Das eckige Schlingenpolygon ist genau dann Šhnlich zum Ausgangspolygon, wenn dieses einen Inkreis hat. Im Beispiel der Abbildung 5 ist dies nicht der Fall.

Bearbeitung der Frage 6: Nein. Gegenbeispiel: Zwei Rechtecke mit ungleichen SeitenverhŠltnissen. Lediglich bei Dreiecken kann aus der Gleichheit der Winkel die €hnlichkeit gefolgert werden.

Bearbeitung der Frage 7: FŸr ein regelmŠ§iges n-Eck ergibt sich:

 

 

FŸr  erhalten wir geometrisch einen Kreis. Rechnerisch kšnnen wir die Sau herauslassen: mit der Regel von Bernoulli-de lÕH™pital ergibt sich:

 

 

Nun ja, das wissen wir schon lange.

Bearbeitung der Frage 8: Magellan selber starb wŠhrend der Reise auf den Philippinen. Lediglich 18 MŠnner der ursprŸnglichen 237 MŠnner kehrten mit einem von ursprŸnglich 5 Schiffen in den spanischen Ausgangshafen zurŸck. Dabei wurden etwa 69'000 km zurŸckgelegt (fŸr den Seemann im Ausguck einige Meter mehr), jedenfalls weit mehr als der Erdumfang. Die Erdumrundung geschah jedoch nicht auf einem Gro§kreis, was schon aus topografischen GrŸnden nicht mšglich gewesen wŠre.

Die sophistische Frage ist, ob etwa eine Rundreise streng auf einem Breitenkreis als Erdumrundung zŠhlen kann. Man geht zwar um die Erdachse herum, aber der zurŸckgelegte Weg ist kŸrzer als der Erdumfang. Ein kleiner Spaziergang um den Nordpol ist wohl noch keine Erdumrundung.

Bearbeitung der Frage 9: Es sei r der Erdkugelradius. Damit wird:

 

 

 hŠngt von der geografischen Breite  ab.

Bearbeitung der Frage 10: Wir erwarten nach Bearbeitung der Frage 9 natŸrlich in diesem Fall . Das ist, cum grano salis, richtig. Exakt gilt:

 

 

Um die Situation fŸr die Erdkugel mit  zu klŠren, machen wir den GrenzŸbergang . Es sind die beiden r-haltigen Terme  und  zu untersuchen. Mit Bernoulli-de lÕH™pital ergibt sich:

 

 

und

 

 

Somit ist:

 

 

FŸr  gilt daher .

Bearbeitung der Frage 11: Wir behandeln die Sache gleich allgemein. Im   hat die eingebettete SphŠre die OberflŠche:

 

 

Somit ist:

 

 

Das ist eine Polynomfunktion in r vom Grad . Genau im Fall des Kreises der Uraltaufgabe ergibt sich eine von Null verschiedene Konstante.