Hans Walser, [20170813]

Der Teufel sitzt im Detail

1     Worum geht es?

ErfahrungsgemŠ§ sind Beweise des Satzes von Pythagoras ein sehr beliebtes Thema fŸr Semester- oder Diplomarbeiten bei Lehramtskandidaten der Sekundarstufe 1 (vgl. die schšne Arbeit (Maresch und Promberger 2017)).

Bei meinen Studierenden ergaben sich dann immer wieder interessante Diskussionen Ÿber die Stimmigkeit der von ihnen vorgestellten Beweise. Es ist eine didaktische Herausforderung, einen falschen Beweis fŸr einen an sich wahren Satz einsichtig zu machen. Dabei ist es nicht mšglich, wie bei einem falschen Satz einfach mit einem Gegenbeispiel zu operieren. Vielmehr muss eine inkonsistente logische Struktur aufgezeigt werden.

Ich bin dabei oft mit fast trotzigen Antworten konfrontiert worden: Aber es stimmt doch! Die Stimmigkeit eines Satzes garantiert aber noch nicht die Richtigkeit des vorgelegten Beweises.

Im Folgenden werden einige falsche, fragwŸrdige oder schwindelerregende Beweise des Satzes von Pythagoras vorgestellt.

Es wird die Ÿbliche Notation fŸr das rechtwinklige Dreieck verwendet.

2     Der Klassiker

Der absolute Klassiker besteht darin, den Satz von Pythagoras als Sonderfall des Kosinus-Satzes zu sehen. Dabei wird Ÿbersehen, dass die in der Schule Ÿbliche Herleitung des Kosinus-Satzes den Satz von Pythagoras benŸtzt. Also wŠre es ein Zirkelschluss, damit den Satz von Pythagoras beweisen zu wollen.

Gleichwohl ist es sinnvoll, nach der Herleitung des Kosinus-Satzes auf den Sonderfall des rechtwinkligen Dreieckes hinzuweisen. Das ist einerseits ein cross check und andererseits eine Einbettung des neuen Satzes in schon vorhandenes Basiswissen.

Zum Nachdenken: Gibt es eine pythagorasfreie Herleitung des Kosinus-Satzes?

3     Trigonometrie

Aus

 

                                                                                             (1)

 

folgt:

 

                                                                                   (2)

 

Wegen der trigonometrischen IdentitŠt

 

                                                                                                     (3)

 

folgt unmittelbar der Satz von Pythagoras.

Der Schwachpunkt liegt auf der Hand: die bombastische Formulierung ãtrigonometrische IdentitŠtÒ darf nicht darŸber hinwegtŠuschen, dass zum Beweis von (3) in der Regel der Satz von Pythagoras verwendet wird.

4     Invariante

Mathematik ist das Auffinden von Invarianten. Fast jeder Satz der Mathematik kann mit einer Invarianten formuliert werden.

Der Satz von Pythagoras kann als Invariante interpretiert werden wie folgt (Abb. 1).

Abb. 1: VerŠnderung des Dreiecks

Wird die Ecke mit dem rechten Winkel auf dem Thaleskreis bewegt, bleibt die Summe der Kathetenquadrate invariant:

 

                                                                                                            (4)

 

Ist diese Invarianz einmal nachgewiesen, ergibt sich durch den Grenzfall  (oder ) die Ÿbliche Formulierung des Satzes von Pythagoras.

Allerdings kšnnen sich beim Invarianznachweis Fehler und Ungreimtheiten einschleichen.

4.1    Der schmutzige Trick von Newton

Bei einer kleinen Verschiebung der Ecke mit dem rechten Winkel auf dem Thaleskreis entsteht ein kleines Dreieck (Abb. 2, Lupe), das zum Ausgangsdreieck einigerma§en Šhnlich ist. Und zwar ist:

 

                                                                                                                  (5)

 

Dies kann mit einem kleinen  in der Form

 

                                                                                         (6)

 

geschrieben werden.

Abb. 2: Der schmutzige Trick von Newton

Daraus ergibt sich:

 

                           (7)

 

 

 

Der schmutzige Trick von Newton (Ausdruck einer Studierenden) besteht nun darin, Quadrate und hšhere Potenzen eines kleinen Ausdrucks wegzulassen. Weglassen von  ergibt aus (7) die Pythagoras-Invarianz.

Ist dieser Beweis in Ordnung?

4.2    Konstante Funktion

Wir fassen (2) als Funktion von  auf:

 

                                                              (8)

 

Nun leiten wir nach  ab:

 

                                                    (9)

 

Die Funktion ist eine Konstante. Wir erhalten also die Pythagoras-Invarianz.

Die Frage ist, ob in den Ableitungsregeln fŸr die Sinus- oder Kosinusfunktion nicht irgendwo versteckt schon der Satz von Pythagoras vorhanden ist.

Versuchen wir es ohne Ableiten mit einer Differenzbildung und den Additionstheoremen. Das gibt einiges an Rechnung:

 

      (10)

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Wenn wir jetzt die trigonometrische IdentitŠt (3) anwenden dŸrften, wŠren wir Ÿber dem Berg und erhielten die Invarianz:

 

                                                                                                        (11)

 

5     Didaktisches

In unserem Schulsystem durchlŠuft jede SchŸlerin und jeder SchŸler verschiedene Schulstufen, Schulsysteme und Klassen mit verschiedenen Lehrpersonen. Das bringt mich sich, dass kaum einer SchŸlerin oder einem SchŸler ein logisch konsistenter lŸckenloser Aufbau der Mathematik dargereicht wird. Dies gilt insbesondere dann, wenn eine Schulstufe wie etwa die Sekundarstufe 1 mehrere Ziele (Vorbereitung fŸr Berufslehre und Vorbereitung aufs Gymnasium) zu erreichen hat.

Was im Unterricht als ãBeweisÒ bezeichnet wird, ist in aller Regel kein Beweis from first principles, sondern eine Verortung im schulischen Umfeld. Ob alle SŠtze in diesem Umfeld bewiesen sind, lŠsst sich nicht ŸberprŸfen und ist auch unterschiedlich fŸr verschiedene SchŸlerinnen und SchŸler. Der Sinn dieser Beweise liegt dann auch nicht im Fixieren ewiger Wahrheiten, sondern im Erleben des lebendigen Geistes. Daher ist es gut und lehrreich, auch mit falschen Beweisen konfrontiert zu werden.

Literatur

Maresch, GŸnter und Promberger, Janine (2017): Die mehr als 400 Beweise des Satzes von Pythagoras – eine mathematisch-geometrische Schatzkiste fŸr alle Schulstufen. IBDG, InformationsblŠtter der Geometrie (36), Heft 1/2017, 16-20.