Hans Walser, [20100114a]
Thaleskurven in der sphärischen und der hyperbolischen Geometrie
Wir lernen in der
Schule, dass die Menge aller Punkte C,
von denen aus eine gegebene Strecke AB unter einem rechten Winkel gesehen wir, ein Kreis ist. Dies ist der so
genannte Thaleskreis über der
Strecke AB. Diese Strecke ist ein
Durchmesser des Thaleskreises. Der Thaleskreis ist der Umkreis des
rechtwinkligen Dreieckes ABC.
So ungefähr. Wie sieht
das in der sphärischen und in der hyperbolischen Geometrie aus?
Wir werden sehen, dass
der Begriff Thaleskreis nur in der
euklidischen Geometrie sinnvoll ist.
Der Weg nach Amerika
geht über den Atlantik. Wir brauchen einige Vorbereitungen, um uns an das Thema
machen zu können.
Da ein rechter Winkel
im Spiel ist, arbeiten wir in winkeltreuen (konformen) Modellen. Für die
sphärische Geometrie ist dies das stereografische Bild, für die hyperbolische
Geometrie das Kreismodell von Poincaré. Beide Modelle sind auch kreistreu. Aber
was ist ein Kreis?
Unter einem Kreis
verstehen wir die Menge aller Punkte, die von einem festen Punkt (Mittelpunkt)
einen konstanten Abstand (Radius) haben. In beiden Modellen ist das Bild eines
Kreises wieder ein Kreis. Aber nun tritt eine Komplikation auf: Das Bild des
Kreismittelpunktes ist nicht der Mittelpunkt des Bildkreises.
Am besten ein Beispiel.
Im Dreieck ABC in der hyperbolischen Geometrie sind die drei
Mittelsenkrechten (Symmetrieachsen) ,
und
der Seiten
eingetragen, welche sich in einem Punkt U schneiden. Warum tun sie das eigentlich? Dieser Punkt U ist nun das Zentrum des hyperbolischen Umkreises u. Er ist aber offensichtlich nicht das planimetrische
Kreiszentrum.
Die von U ausgehenden Kreisradien sind scheinbar ungleich
lang. Das liegt daran, dass im Poincaré-Modell die Maßstäbe gegen den Rand zu
verkürzt werden. In Wirklichkeit, das heißt in der hyperbolischen Geometrie,
sind die von U ausgehenden Radien
alle gleich lang.
Umkreis
Nun wagen wir uns an
die Analoga zum Thaleskreis.
Vorerst ein
Gedankenspiel: Auf der Kugel sei der Bogen AB ein Vierteilskreis, zum Beispiel in geografischen Koordinaten: und
. Das ist die Hypotenuse des gesuchten rechtwinkligen
Dreieckes. Nun suchen wir Punkte C,
welche zu einem rechtwinkligen Dreieck ergänzen. Mögliche Lösungen sind
natürlich die beiden Pole. Aber auch jeder Punkt auf dem Meridian zu 90°E ist
eine Lösung, ebenso jeder Punkt auf dem 0°-Merdian. Die Thaleskurve ist also
ein Zweieck, bestehend aus zwei Halbkreisen, welche sich orthogonal schneiden.
(Wie ist es eigentlich mit der Verlängerung der Meridiane über die Pole
hinaus?) Wenn wir nun die beiden Punkte A und B ein bisschen
zusammen rücken lassen, ergibt sich aus Stetigkeitsgründen eine Figur, welche
in der Nachbarschaft dieses Zweieckes verläuft. Das kann kein Kreis sein, daher
die Terminologie Thaleskurve.
Im folgenden Beispiel
ist der Äquator schwarz. Die Thaleskurve ist rot. Zusätzlich ist auch das
diametrale Dreieck mit Thaleskurve eingezeichnet. Diametrale Figuren sind
räumlich punktsymmetrisch, also kongruent, aber mit ungleichem Umlaufsinn.
Rechtwinkliges Dreieck
mit Thaleskurve
Die Thaleskurve ist
offensichtlich kein Kreis, und insbesondere nicht der Umkreis des Dreieckes.
Im folgenden Beispiel
ist der Rand des Poincaré-Modells schwarz. Es ist ein rechtwinkliges Dreieck
mit Thaleskurve eingezeichnet. Diese ist offensichtlich kein Kreis, insbesondere
nicht der Umkreis.
Rechtwinkliges Dreieck
mit Thaleskurve
Man lässt die Strahlen
zweier Leuchttürme synchron, aber mit einer Phasenverschiebung drehen. Der
Schnittpunkt der beiden Strahlen wandert auf einem Ortsbogen (in Deutschland
Fasskreis genannt). Ist die Phasenverschiebung genau 90°, haben wir den
Sonderfall des Thaleskreises.
Die Aufgabe ist schon
vier Generationen alt. Zur Sicherung in der Seefahrt wurden nach den
Leuchttürmen folgende Systeme verwendet: LORAN-C (Long Range Navigation), Radar
(Radio Detection and Ranging), GPS (Gobal Positioning System).
Ist die Sache
wenigstens mathematisch korrekt? Dazu drehen wir in zwei Punkten A und B
je einen Großkreis beziehungsweise eine geodätische Linie (Analoga zu Geraden
in der sphärischen und der hyperbolischen Geometrie) synchron, aber mit einer
Phasenverschiebung. Der Aufgabe zuliebe verwenden wir die Phasenverschiebung
90°. Wie sieht die Ortslinie der Schnittpunkte aus?
Die Leuchtturmaufgabe
auf der Kugel
Wir sehen, dass es
wiederum keinen Kreis ergibt. Und obwohl die Summe der Winkel bei A und B den Wert 90° ergibt, ist der Winkel bei C größer als 90°. Zudem ist dieser Winkel variabel.
Wir erhalten also keine Thaleskurve.
Hier sind verschiedene
Fälle möglich. In der Abbildung sehen wir die Ortskurve der Schnittpunkte,
welche offensichtlich kein Kreis ist und sogar in zwei Teile zerfällt, und
einen veritablen Schnittpunkt C. Obwohl
die Summe der Winkel bei A und B den Wert 90° ergibt, ist der Winkel bei C kleiner als 90°. Zudem ist dieser Winkel variabel.
Wir erhalten also keine Thaleskurve.
Leuchtturmaufgabe in der
hyperbolischen Geometrie
Es ist aber durchaus
möglich, dass die beiden von A und B ausgehenden Strahlen keinen Schnittpunkt haben. Die
beiden Strahlen sind trotz Phasenverschiebung von 90° parallel.
Kein Schnittpunkt
Zwischen diesen beiden
Fällen gibt es einen Grenzfall. Die Strahlen schneiden sich auf dem Rand des
Poincaré-Modells. Da dieser Rand aber nicht mehr zur hyperbolischen Ebene
gehört, heißt das, dass sich die Strahlen nicht schneiden. Sie sind parallel.
Man spricht in diesem Fall von Grenzparallelen.
Grenzfall
Natürlich haben wir
beim zweiten Teil der Ortskurve nochmals Grenzfälle und veritable
Schnittpunkte.
In der sphärischen wie
in der hyperbolischen Geometrie sind die Winkelsumme in einem Dreieck nicht
konstant. Der Überschuss (sphärischer Exzess) beziehungsweise das Manko
(hyperbolisches Defizit) gegenüber 180° ist proportional zur Dreiecksfläche.
Die Konstanz der
Winkelsumme im Dreieck in der Euklidischen Geometrie wird mit Sätzen an
Parallelen bewiesen. In der sphärischen und der hyperbolischen Geometrie haben
wir aber keine eindeutig bestimmte Parallele.
Der Begriff Thaleskreis ist nur in der euklidischen Geometrie sinnvoll.
Dasselbe gilt für den Ortsbogen
(in Deutschland Fasskreis
genannt) und die zugehörigen Kreiswinkelsätze.
Die Abbildungen wurden
mithilfe von CAD (Cabri) erzeugt. Als Hilfsmittel empfehlen sich Makros zur
Kreisspiegelung. Mit Cinerella geht es direkter.