Hans Walser
Puzzles
Tag der Mathematik
Do, 4. Februar 2016, Graz
Technische UniversitŠt Graz
Hšrsaal HS P2 (Petersgasse 16), 15.40-16.40 Uhr
Zusammenfassung
Es kommen verschiedene Aspekte der Zerlegungsgleichheit zur Sprache: Varianten zu Pythagoras, Gegensatz von Methode und KreativitŠt, Fragen der Beweiskraft, ein Hilbertsches Problem, Symmetrie, Optimierung, rationale und irrationale Rechtecke, Mustererkennung, Farben und €sthetik.
Die Abbildung 1 zeigt einen klassischen Zerlegungsbeweis des Satzes von Pythagoras.
Abb. 1: Klassischer Zerlegungsbeweis zu Pythagoras
Nun gilt der Satz von Pythagoras aber auch, wenn wir zum Beispiel regelmŠ§ige Dreiecke an den Seiten des rechtwinkligen Dreiecks ansetzen (Abb. 2).
Abb. 2: Zyan = Magenta
Die Abbildung 3 zeigt eine passende Zerlegung.
Abb. 3: Zerlegung
Statt Dreiecke kšnnen wir beliebige regelmŠ§ige Vielecke ansetzen (Abb. 4 bis 8).
Abb. 4: FŸnfecke
Abb. 5: Sechsecke
Abb. 6: Siebenecke
Abb. 7: Achtecke
Wir erkennen ein einheitliches Muster. NatŸrlich kšnnen wir auch Quadrate nach diesem Muster ansetzen (Abb. 8).
Abb. 8: Quadrate
Die Figur hat einige Verwandtschaft mit dem Klassiker der Abbildung 1.
Pythagoreische Dreiecke sind besonders einfach. Wir illustrieren das am Beispiel des so genannten ãLehrerdreiecksÒ mit dem SeitenverhŠltnis 3:4:5.
ZunŠchst kšnnen wir die angesetzten regelmŠ§igen Dreiecke durch kongruente kleine regelmŠ§ige Dreiecke ausschšpfen (Abb. 9). Dabei wird man wohl versuchen, eine kombinatorisch ãschšneÒ FŠrbung zu erreichen.
Abb. 9: Das Lehrerdreieck
Wir kšnnen die kleinen Dreiecke zu grš§eren Figuren zusammenfassen (Abb. 10).
Abb. 10: Grš§ere Puzzle-Teile
Wird auf Symmetrie verzichtet, kann die Anzahl der Teile noch mehr eingeschrŠnkt werden (Abb. 11).
Abb. 11: Asymmetrische Lšsung
Ein Quadrat und ein flŠchengleiches Dreieck sind zerlegungsgleich. Die Abbildung 12 zeigt eine klassische Zerlegung (Dudeney, 1903).
Abb. 12: Quadrat und Dreieck
Das Beispiel lŠsst sich als Gelenkmodell darstellen (Abb. 13).
Abb. 13: Gelenkmodell
Die Abbildung 14 zeigt eine weniger elegante Lšsung, dafŸr ist die Basislinie des Dreieckes parallel zu der des Quadrates.
Abb.14: Quadrat und Dreieck
Die Teile in der hšhenmŠ§ig oberen HŠlfte des Dreieckes mŸssen beim Einpassen in das Quadrat um 180¡ gedreht werden (Punktspiegelung). Die Ÿbrigen Teile kšnnen parallel verschoben werden.
Im Beispiel der Abbildung 15 muss nur das rote Dreieck auf die Spitze gestellt werden.
Abb. 15: Das rote Teil muss umgedreht werden
Im Beispiel der Abbildung 16 mŸssen die Teile in der rechten HŠlfte des Dreieckes vor dem Einpassen ins Quadrat umgewendet werden.
Abb. 16: Umwenden erforderlich
Zerlegungsgleiche Figuren sind trivialerweise flŠchengleich. Man kann umgekehrt zeigen, dass flŠchengleiche Polygone auch zerlegungsgleich sind (Satz von W. Wallace - F. W. Bolyai (1832) – P. Gerwien (1833)). Insbesondere sind ein Quadrat und ein flŠchengleiches gleichseitiges Dreieck zerlegungsgleich (Abb. 12 bis 16).
Eine analoge Aussage gilt im Raum nicht. Zwar sind zerlegungsgleiche Polyeder natŸrlich volumengleich, aber umgekehrt sind volumengleiche Polyeder nicht immer zerlegungsgleich. Insbesondere sind ein WŸrfel und ein volumengleiches regelmŠ§iges Tetraeder (Abb. 17) nicht zerlegungsgleich.
Abb. 17: WŸrfel und Tetraeder
Die Frage der Zerlegungsgleichheit von Tetraedern wurde von Hilbert als drittes Problem gestellt und von M. W. Dehn (1902) beantwortet. B. F. Kagan (1903) vereinfachte den Beweis. H. Hadwiger (1954) gab eine Verallgemeinerung auf hšhere Dimensionen.
Abb. 18: David Hilbert (1862-1943)
Weitere Bearbeitungen gehen auf D. Benko (2007) und W. Ch. Wittmann (2012) zurŸck.
Das Grundverfahren bei FlŠchenumformungen besteht darin, Dreiecke mit gleicher Hšhe und gleicher Grundlinie zu bearbeiten. Die Abbildung 19 zeigt, wie das mit Zerlegungen bewerkstelligt werden kann.
Abb. 19: Zerlegungsgleiche Dreiecke
Sind mehrere Schritte dieser Art erforderlich, ist die bisherige Unterteilung jeweils weiter zu unterteilen. Dies fŸhrt bald einmal zu einer gro§en Anzahl von Puzzle-Teilen. Die Abbildung 20 zeigt eine Illustration des Kathetensatzes. Dabei wurde darauf geachtet, dass die beiden Kathetenquadrate wie auch die beiden Hypotenusenrechtecke jeweils punktsymmetrisch zerschnitten werden.
Abb. 20: Kathetensatz
Es ist mir nicht gelungen, bei der FŠrbung mich auf vier Farben zu beschrŠnken. Die Schwierigkeit besteht darin, dass jedes Puzzleteil an zwei Orten vorkommt. Man muss also sozusagen auf zwei Hochzeiten gleichzeitig tanzen.
Die Abbildung 21 gibt ein einfaches Beispiel, bei welchem zwingend fŸnf Farben benštigt werden.
Abb. 21: FŸnf Farben
FŸr die Figur links wŸrden gemŠ§ dem Vierfarbensatz vier Farben reichen, man kšnnte das hellblaue Rechteck ebenfalls gelb fŠrben. Das ist aber nicht kompatibel mit der Figur rechts, weil wir dann zwei gelbe Teile mit gemeinsamer Kante hŠtten. Umgekehrt kšnnt man in der Figur rechts das grŸne (oder das rote) Rechteck gelb fŠrben, was aber mit der Figur links nicht kompatibel ist.
FŸr das Zeichnen habe ich gute Erfahrungen gemacht mit einer Grafiksoftware, welche Ÿber einen Vertex-snapper verfŸgt. Das hei§t, man kann Puzzleteile verschieben, bis ein Eckpunkt an einem Eckpunkt eines anderen Puzzleteils einrastet.
Zu flŠchengleichen Polygonen gibt es verschiedene gemeinsame Zerlegungen. Das folgende Beispiel soll Vor- und Nachteile verschiedener gemeinsamer Zerlegungen illustrieren.
Wir bearbeiten ein regelmŠ§iges Dreieck und ein dazu flŠchengleiches regelmŠ§iges Sechseck.
Diese Figuren kšnnen zunŠchst wie folgt gefunden werden. Wir gehen von einer regelmŠ§igen Kreisteilung in zwšlf Teile aus und ergŠnzen zu Dreieck und Sechseck gemŠ§ Abbildung 22.
Abb. 22: Dreieck und Sechseck
Wenn wir vom Einheitskreis ausgehen, hat das Dreieck einen Inkreisradius (Abb. 23) und damit eine SeitenlŠnge . FŸr den FlŠcheninhalt ergibt sich .
Abb. 23: FlŠchenberechnung
Das Sechseck hat den Umkreisradius 1 und damit ebenfalls den FlŠcheninhalt .
Die Abbildung 24 zeigt nun eine gemeinsame Zerlegung.
Abb. 24: Gemeinsame Zerlegung
Unter der Website Zerlegungsgleichheit finden wir eine andere Zerlegung (Abb. 25). Dies ist die beste bis anhin bekannte Zerlegung.
Abb. 25: Zweite Zerlegung
Nachfolgend eine GegenŸberstellung der beiden Zerlegungen.
Zerlegung |
Abbildung 24 |
Abbildung 25 |
Anzahl Teile total |
9 |
5 |
Anzahl Formen |
2 bzw. 3 je nachdem, ob spiegelbildliche Formen separat gezŠhlt werden |
5 |
Anzahl Farben |
3 |
3 |
Symmetrie |
Zyklische Symmetrie |
Keine Symmetrie |
Die Zerlegung der Abbildung 24 benštigt insgesamt mehr Puzzleteile, kommt aber mit weniger Puzzleformen aus. Zudem haben die Zerlegungen sowohl des Dreieckes wie des Sechseckes eine zyklische Symmetrie.
Wir kšnnen von einem DIN A4-Papier ein Quadrat abschneiden, und dann bleibt unten ein Rechteck Ÿbrig (das sogenannte Silberne Rechteck). Aus vier solchen kreuzweise und diagonal Ÿbereinandergestapelten Rechtecken ergibt sich ein regelmŠ§iges Achteck (Abb. 26). †ber die Geometrie im DIN-Format siehe (Walser 2013a).
Abb. 26: Silbernes Rechteck und regelmŠ§iges Achteck
Das Silberne Rechteck hat dabei genau den halben FlŠcheninhalt wie das aus ihm konstruierte Achteck (Abb. 27).
Abb. 27: Halber FlŠcheninhalt
Die Abbildungen 28, 29, und 30 geben Zerlegungsbeweise dazu.
Abb. 28: Simpler Zerlegungsbeweis
Abb. 29: Symmetrischer Zerlegungsbeweis
Abb. 30: Zerlegungsbeweis
Bei regelmŠ§igen Vielecken gerader Eckenzahl gelten die in der Abbildung 31 angedeuteten FlŠchenbeziehungen.
Abb. 31: FlŠchenbeziehungen
Diese Beziehungen lassen sich durch Nachrechnen verifizieren. FŸr ein 2m-Eck erhalten wir einerseits den gesamten FlŠcheninhalt
(1)
und andererseits fŸr das Rechteck den FlŠcheninhalt:
(2)
Somit ergibt sich das FlŠchenverhŠltnis:
(3)
Wenn m eine gerade Zahl ist, also die Eckenzahl des Polygons eine Viererzahl, geht es auf.
Falls m eine ungerade Zahl ist, ergibt sich ein halbzahliges VerhŠltnis. Die Eckenzahl des Polygons ist dann 6, 10, 14, ... . Euler (1782) bezeichnete diese Zahlen als nombres impairement pairs (ungerade gerade Zahlen). Diese etwas merkwŸrdige Formulierung wurde von meinen Studierenden etwa so interpretiert: Diese Zahlen setzen sich aus einer ungeraden Anzahl von Paaren zusammen. Sie besetzen in der Liste der geraden Zahlen die ungeraden Positionen. Sie sind die Summe von zwei ungeraden Zahlen.
Die ungeraden geraden Zahlen erscheinen auch in anderen ZusammenhŠngen, zum Beispiel bei der Darstellung der natŸrlichen Zahlen als Differenz zweier Quadratzahlen.
Es ist:
(4)
Die Abbildung 32 zeigt einheitliche Zerlegungsbeweise fŸr den Sachverhalt der Abbildung 31.
Abb. 32: Zerlegungsbeweise
Die Abbildung 33 zeigt eine Variante.
Abb. 33: Variante
NatŸrlich gibt es noch viele andere Zerlegungsbeweise.
Euklid, Elemente, Buch II, ¤11: Eine gegebene Strecke so zu teilen, dass das Rechteck aus der ganzen Strecke und dem einen Abschnitt dem Quadrat Ÿber dem anderen Abschnitt gleich ist. Die Abbildung 34 zeigt die Situation. Die gegebene Strecke ist die Basislinie.
Abb. 34: Situation
Die folgenden Beispiele zeigen Versuche mit rationalen TeilverhŠltnissen (Abb. 35).
Abb. 35: Rationale TeilverhŠltnisse
Wir haben der Reihe nach die VerhŠltnisse 1:1, 1:2, 2:3, 3:5, ... . Es entstehen die Fibonacci-Zahlen. †ber Fibonacci-Zahlen siehe (Walser 2012). Wegen
(5)
wobei die Fibonacci-Zahlen und (Goldener Schnitt. †ber den Goldenen Schnitt siehe (Walser 2013b)) bezeichnen, haben wir fŸr den Teilpunkt das TeilverhŠltnis . Dieses TeilverhŠltnis ist irrational.
Die Frage ist nun, wie das Rechteck zum Quadrat zerlegt werden kann. Die Abbildung 36 zeigt den ersten und den zweiten Schritt einer Zerlegung mit jeweils grš§tmšglichen Rechtecken.
Abb. 36: Grš§tmšgliche Rechtecke
Nach zwei Abbauschritten hat der Rest (grau) dieselbe Form wie das Ausgangsproblem. Eine Zerlegung in endliche vielen Schritten ist also nicht mšglich. Die Abbildung 37 zeigt das Resultat bei Iteration des Verfahrens. Wir haben beim Teilpunkt eine Trichtersymmetrie.
Abb. 37: Trichtersymmetrie
Die Abbildung 38 zeigt schrittweise eine gemeinsame Zerlegung, die mit nur vier Teilen und sogar nur zwei Formen auskommt.
Abb. 38: Zerlegung des Rechteckes ins Quadrat
In der Abbildung 39 wird durch Versatz die schiefe Bahn sichtbar. Wir kšnnen rechts oben durch ein sogenanntes Goldenes Rechteck ergŠnzen.
Abb. 39: Schiefe Bahn
Die Abbildung 40 zeigt ein Bild von Jo Niemeyer.
Abb. 40: Jo Niemeyer: 531 o. Titel
Acryl auf Leinwand auf Holz. 2014
In den Beispielen wurden meistens ãreineÒ RGB-Farben verwendet. Dadurch werden die Abbildungen etwas gar bunt.
Dank
Ich danke Jo Niemeyer, Funchal/Portugal, fŸr die Foto der Abbildung 40 sowie weitere RatschlŠge in der Farbgebung.
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Zerlegungsgleichheit (Abgerufen 3. 9.
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http://mathworld.wolfram.com/Dissection.html
Version 3. Februar 2016, 20:42 Uhr