Streifen
30. Tag fŸr Mathematik und
Unterricht
Mittwoch,
11. September 2019
Kantonsschule Frauenfeld
Hans
Walser
www.walser-h-m.ch/hans
Streifen
Mit Plastikstreifen aus der Verpackungsindustrie bauen wir zunŠchst ein ebenes hexagonales Geflecht. Einfache Modifikationen fŸhren zur Kugelgeometrie einerseits und zur hyperbolischen Geometrie andererseits. Ersetzen der Plastikstreifen durch Papierstreifen fŸhrt zu Modellen der regulŠren Polyeder.
Im Unterricht werden verschiedene Kompetenzen gefšrdert, allen voran das rŠumliche und das sphŠrische Vorstellungsvermšgen, aber auch das Design eines Arbeitsvorgangs und die soziale Interaktion. Nicht zuletzt genaues Arbeiten.
Der Vortrag basiert auf Erfahrungen mit SchŸlerinnen und SchŸlern hauptsŠchlich der Sekundarstufe, aber auch in der Grund- und Weiterbildung von Lehrpersonen.
Querbeziehungen zu Kristallsystemen (Chemie) und zu ZahlenrŠtseln.
In der Sekundarschule (Schweiz, fŸnfziger Jahre) gab es (nur fŸr Knaben) ein Fach ãtechnisches ZeichnenÒ. Da musste mit Tusche und Rei§feder gearbeitet werden. Wie beim Fliegen gab es beim Zeichnen einer Strecke zwei kritische Momente: Anfang und Ende. An beiden Stellen hatte die Rei§feder die Tendenz, einen ãTolggenÒ (Klecks) abzusetzen.
Die Aufgabe, ein Bienenwabenmuster (regulŠres Hexagonnetz) zu zeichnen, erweist sich wegen der vielen kurzen Strecken als Alptraum. Das Problem kann allerdings entschŠrft werden, wenn wir die Kantenmitten des Hexagonnetzes geradlinig verbinden. Dann erhalten wir ein halbregulŠres Netz aus Sechsecken und Dreiecken, und die Linien kšnnen durchstarten.
Hexagonnetz und Netz mit Sechsecken und Dreiecken
Dieses halbregulŠre Netz kann mit Plastikstreifen (aus der Verpackungsindustrie) und Rundkopfklammern realisiert werden. Aus Šsthetischen GrŸnden geben wir uns MŸhe, die Plastikstreifen wie bei einem Geflecht abwechslungsweise oben und unten laufen zu lassen.
Streifenmodell. Flechtstruktur
... so geh hŸbsch sittsam
und lauf nicht vom Wege ab!
Die Plastikstreifen und Papierstreifen sind zwar biegsam, aber nur nach oben und unten, hingegen praktisch nicht in seitlicher Richtung. Sie laufen ãsubjektivÒ gerade aus.
Immer der Nase nach
In der Geometrie werden Linien ohne seitliche KrŸmmung als geodŠtische Linien bezeichnet. In der ebenen Geometrie sind das die Geraden, auf der Kugel die Gro§kreise.
Nun versuchen wir, in unserem Flechtmodell durch …ffnen einiger Rundkopfklammeren und Entfernen einiger Streifen sŠmtliche Sechsecke auf FŸnfecke zu reduzieren. Die Dreiecke lassen wir bestehen, es reduziert sich allerdings deren Anzahl. Bei diesem Prozess wšlbt sich das Modell aus der Ebene heraus, und es entsteht eine Halbkugel aus nur noch sechs FŸnfecken und zehn Dreiecken. Es ist da einiges auf der Strecke geblieben.
Halbkugel. Stereografisches Bild
Wir denken uns den hšchsten Punkt der Halbkugel (also den Mittelpunkt des obersten FŸnfeckes) als Nordpol und schauen nun die Sache vom SŸdpol aus (also von unten her) an. Dann sehen wir das so genannte stereografische Bild der Halbkugel. Wir sehen, dass die auf der Halbkugel kongruenten regelmЧigen FŸnfecke und gleichseitigen Dreiecke im stereografischen Bild verzerrt erscheinen. Das stereografische Bild hat die Eigenschaft, dass zwar die LŠngen verzerrt werden, aber die Winkel ãechtÒ, also unverzerrt, erscheinen. Beim mittleren FŸnfeck (das ist das Bild des obersten FŸnfeckes auf der Halbkugel) sind die Seiten etwas nach au§en gebogen, die einzelnen Winkel und damit die Winkelsumme also etwas grš§er als beim ebenen FŸnfeck. Damit sind wir bei einer wichtigen Eigenschaft der sphŠrischen Geometrie angelangt: Die Winkelsumme der sphŠrischen Polygone ist grš§er als die Winkelsumme der entsprechenden Polygone in der ebenen Geometrie.
NatŸrlich kšnnen wir die Halbkugel zur ganzen Kugel erweitern. Beim stereografischen Bild werden nun die Verzerrungen noch drastischer. Die nšrdliche Halbkugel wird auf das Innere des kleinen Kreises abgebildet, die sŸdliche auf das ganze €u§ere. Der kleine Kreis ist das Bild des €quators und in Wirklichkeit, das hei§t im Kugelmodell, gleich gro§ wie die fŸnf anderen Kreise.
Ganze Kugel und stereografisches Bild
Wir zŠhlen zwšlf FŸnfecke, wobei im stereografischen Bild das zwšlfte FŸnfeck das gesamte €u§ere der Figur ist, und 20 Dreiecke. Diese Anzahlen erinnern an die platonischen Kšrper. Aus zwšlf FŸnfecken kann das Dodekaeder gebaut werden, aus 20 Dreiecken das dazu duale Ikosaeder.
FŸr das Kogelmodell benštigen wir sechs Streifen, fŸr jeden Gro§kreis einen.
Sechs Streifen
Die
Streifen werden je durch 11 Lšcher in regelmЧigen AbstŠnden in 10 gleiche Strecken
unterteilt. Die SeitenlŠngen der FŸnfecke und der Dreiecke sind also des Kugelumfanges.
Das letzte Loch kommt durch das Schlie§en zum Kreis auf das erste zu liegen.
Wir haben also effektiv noch 60 Lšcher und brauchen beim Zusammenbau daher 30
Rundkopfklammern, da bei jedem Kreuzungspunkt zweier Streifen eine Rundkopfklammer
eingesetzt wird. Es gilt die Beziehung:
# FŸnfecke – # Rundkopfklammern + # Dreiecke = 12 – 30 + 20 = 2
Sechs-Streifen-Kugel und Dodekaeder
Das Papierstreifenmodell des Dodekaeders hat dieselbe Struktur wie die Sechs-Streifen-Kugel.
Nun
Ÿberlegen wir uns, wie die Diagonalen der FŸnfecke laufen. Wir kšnnen eine Diagonale
Ÿber Eck ins benachbarte FŸnfeck fortsetzen und kommen nach 6 FŸnfecken wieder
zurŸck. Die DiagonalenlŠnge ist des
Kugelumfanges.
Wir kšnnen daher mit zehn Streifen mit einer Sechserteilung die Diagonalen dem Kugelmodell dazufŸgen.
Streifen fŸr eine Diagonale
Kugel und Kugel mit Diagonalen
Auf der Kugel haben wir fŸr unsere FŸnfecke das VerhŠltnis:
Das ist etwas mehr als beim ebenen FŸnfeck, wo wir das VerhŠltnis des goldenen Schnittes haben (Walser 2013):
Die folgenden Abbildungen zeigen den ebenen Fall mit dem Goldenen Schnitt und den gewšlbten Fall mit den etwas lŠngeren Diagonalen, welche zur Wšlbung fŸhren.
Flach und gewšlbt
Noch ein
Wort zur Vorsicht. Das VerhŠltnis gilt nur fŸr
KugelfŸnfecke dieser Grš§e, also bei einer Kombination von zwšlf FŸnfecken mit
20 Dreiecken. Bei kleineren FŸnfecken auf derselben Kugel wird das VerhŠltnis
kleiner und nŠhert sich dem goldenen Schnitt an, weil ja auch die FŸnfecke
immer mehr sich einem ebenen FŸnfeck annŠhern. In der Kugelgeometrie haben wir keine €hnlichkeit.
Das Kugelmodell ist sogar stabil, wenn wir nur die Diagonalen zur Kugel zusammenfŸgen.
Diagonalen. Lampenschirm
Nun reduzieren wir weiter zu Vierecken. Wir erhalten ein Kugelmodell aus vier Streifen, das aus 6 Vierecken und 8 Dreiecken besteht. Diese Zahlen erinnern an WŸrfel und Oktaeder.
6 Vierecke und 8 Dreiecke
Wir kšnnen wiederum Diagonalen einfŸgen. Es gilt:
Die
Diagonalen sind wiederum lŠnger als im ebenen Fall, wo wir das VerhŠltnis haben.
FŸr das Modell benštigen wir vier Streifen zu je 6 Einheiten.
Vier Streifen
Wir brauchen zwšlf Rundkopfklammern. Es gilt die Beziehung:
# Vierecke – # Rundkopfklammern + # Dreiecke = 6 – 12 + 8 = 2
Wir kšnnen aus vier Papierstreifen ein Modell des WŸrfels flechten, das dieselbe Struktur wie die Vier-Streifen-Kugel hat. Die Papierstreifen laufen diagonal von Kantenmitte zu Kantenmitte.
Papierstreifenmodell des WŸrfels
Mehrere baugleiche Kugeln kšnnen zu einem Kugelcluster zusammengefŸgt werden, wobei genau die Rundkopfklammern als VerbindungsstŸcke dienen.
Tetraeder und Oktaeder
WŸrfel und Pyramide
Wenn wir uns die Kugelcluster fortgesetzt denken, ergibt sich eine schon von Kepler vermutete dichteste Kugelpackung. Gau§ hat 1831 bewiesen, dass diese Kugelpackung unter allen regulŠren Kugelpackungen optimal ist. Thomas Hales bewies die Keplersche Vermutung 1998/2005 mit einem Computerbeweis und 2014 mit einem formalen Beweissystem.
Im Unterricht kšnnen Kugelpyramiden mit Glaskugeln realisiert werden. Eine geeignete Unterlage vermeidet das Wegrollen.
Pyramide mit Glaskugeln
Wenn wir zu Dreiecken reduzieren, erhalten wir eine Kugel mit vier Dreiecken und vier Dreiecken. Das ist sprachlich korrekt so, indem die ersten vier Dreiecke aus der Reduktion der Vierecke entstanden sind, die zweiten vier Dreiecke zu den Dreiecken gehšren, die schon immer da waren. Wir erhalten ein Kugelmodell aus drei Kreisen.
Drei Kreise. Kugelcluster
FŸr den Zusammenbau der drei Streifen benštigen wir 6 Rundkopfklammern.
Drei Streifen
Es gilt die Beziehung:
# Dreiecke – # Rundkopfklammern + # Dreiecke = 4 – 6 + 4 = 2
Stereografische Projektion und magische Kreise
Aus der stereografischen Projektion kann ein ZahlenrŠtsel abgeleitet werden. In die kleinen Kreise sind die Zahlen 1 bis 6 einzusetzen so, dass auf jedem der drei gro§en Kreise die Zahlensumme gleich ist.
Das RŠtsel kann mit einer Symmetrie-†berlegung angegangen werden. Die Gesamtsumme der Zahlen von 1 bis 6 ist 21, der Mittelwert also 3.5. Wenn wir uns einen Kreis wegdenken, bleiben noch deren zwei Ÿbrig. In den beiden Schnittpunkten muss durchschnittlich der Wert 3.5 eingesetzte werden, also die Summe 7. Dies kann durch eines der drei Paare 1+6, 2+5 oder 3+4 geschehen.
Die Lšsung des ZahlenrŠtsels erinnert an die Augenverteilung auf einem SpielwŸrfel.
Lšsung und SpielwŸrfel
Den SpielwŸrfel kšnnen wir aus drei Papierstreifen flechten. Jeder der drei Streifen besteht aus vier Quadraten sowie zwei zur Stabilisierung benštigten Zusatzquadraten.
Drei Streifen fŸr den WŸrfel
Wenn wir die Sechsecke durch Siebenecke ersetzen, krŸmmt sich das Modell hyperbolisch in den Raum. Bei dieser KrŸmmungsart haben wir KrŸmmungen nach oben und nach unten. Im entsprechenden Ausschnitt aus dem Kreismodell von PoincarŽ sehen wir die NachbarschaftsverhŠltnisse der Siebenecke und der Dreiecke.
Hyperbolische KrŸmmung
NatŸrlich kšnnen wir ebenfalls Diagonalen einbauen. Das Siebeneck hat kurze und lange Diagonalen.
Kurze Diagonalen
Lange Diagonalen
Die Diagonalen sind jeweils kŸrzer als die entsprechenden Diagonalen im ebenen Siebeneck.
Im ebenen Siebeneck ist:
Im Siebeneck unseres hyperbolischen Modells gilt:
Im hyperbolischen Modell sind die Diagonalen kŸrzer.
Zwšlfeck
Literatur
Walser, Hans (2010): Handgreifliche Modelle der Kugelgeometrie und der hyperbolischen Geometrie. MU Der Mathematikunterricht. Elemente nichteuklidischer Geometrien. Jahrgang 56. Heft 6. Dezember 2010. Friedrich Verlag, Seelze. S. 28-37.
Walser, Hans (2013): Der Goldene Schnitt. 6., bearbeitete und erweiterte Auflage. Mit einem Beitrag von Hans Wu§ing Ÿber populŠrwissenschaftliche Mathematikliteratur aus Leipzig. Edition am Gutenbergplatz, Leipzig. ISBN 978-3-937219-85-1.
Walser, Hans (2017): EAGLE STARTHILFE Kartografie. Edition am Gutenbergplatz, Leipzig. ISBN 978-3-95922-098-9.
Websites
[1] Hans Walser: ZahlenrŠtsel:
www.walser-h-m.ch/hans/Vortraege/20180208/Zahlenraetsel.pdf
[2] Hans Walser: Formeln fŸr die sphŠrische, euklidische und hyperbolische Geometrie:
http://www.walser-h-m.ch/hans/Miniaturen/F/Formeln/Formeln.htm
Last modified: 22. Dezember 2018