Hans Walser

UniversitŠt Basel

 

 

Schwerpunkt

 

Forum fŸr Begabtenfšrderung

22. bis 24. MŠrz 2012, TU Berlin

 

 


Zusammenfassung

Beim Schwerpunkt treffen Geometrie und Physik aufeinander. Dies eršffnet interessante Einsichten und Querverbindungen. Es kommen Beispiele am Dreieck und Viereck zur Sprache. Insbesondere wird auf die Unterschiede von Eckenschwerpunkt, Kantenschwerpunkt und FlŠchenschwerpunkt eingegangen. Schlie§lich wird eine bemerkenswerte Gerade im Viereck vorgestellt.

Fachliche und didaktische Zielsetzung: QuerbezŸge zwischen Bereichen der Elementargeometrie, der Mechanik und der Topologie. Fšrderung des Raumvorstellungsvermšgens.

1        Eine falsche Argumentation

An einer Fachdidaktiker-Tagung wurde so nebenbei der Satz formuliert, eine Gerade durch den Schwerpunkt halbiere die FlŠche. Das Argument dafŸr war, dass der Schwerpunkt ja gerade so definiert worden sei (Abb. 1).

Abb. 1: Halbierung der FlŠche

Sehen wir uns die Sache nŠher an. Wir parkettieren das Dreieck und legen eine horizontale Linie durch den Schwerpunkt (Abb. 2).

Abb. 2: Parkettierung

Wir zŠhlen oben vier und unten fŸnf Teildreiecke. Nun ist es so, das die drei grŸnen und die dazwischen eingeklemmten roten Teildreiecke ein Sechseck bilden, das bezŸglich der blauen Geraden symmetrisch liegt. Problematisch sind also noch die drei roten Dreiecke au§en, eins oben und zwei unten (Abb. 3).

Abb. 3: Hebelgesetze

Nun hat das obere Dreieck von der Gleichgewichtsachse den Abstand , die beiden unteren je den Abstand . Wir haben also unten den halben Abstand, aber die doppelte Masse. Es kommen die Hebelgesetze von Archimedes zum Tragen.

2        Verschiedene Schwerpunkte

Beim Eckenschwerpunkt denken wir uns gleiche Massen in den Ecken konzentriert, beim Kantenschwerpunkt soll die Masse homogen entlang der Kanten oder des Randes verteilt sein  (Drahtmodell) und beim FlŠchenschwerpunkt homogen Ÿber die FlŠche (Plattenmodell) (Abb. 4). Die drei Schwerpunkte sind in der Regel voneinander verschieden.

Abb. 4: Ecken-, Kanten-  und FlŠchenschwerpunkt

Beim Quadrat (Abb. 5 links) ist natŸrlich alles, was Schwerpunkt hei§t, in der Mitte. Wenn wir nun aber unten etwas herausbrechen (Abb. 5 rechts), wandert der FlŠchenschwerpunkt nach oben und der Kantenschwerpunkt nach unten.

Abb. 5: Verlagerung der Schwerpunkte?


3        Schwerpunkte beim Dreieck

Beim Dreieck fallen allerdings der Eckenschwerpunkt und der FlŠchenschwerpunkt zusammen. Das ist das, was in der Schule allgemein als ãSchwerpunktÒ bezeichnet wird. Der Kantenschwerpunkt ist aber im Allgemeinen davon verschieden (siehe unten).

3.1      Der Eckenschwerpunkt ist der FlŠchenschwerpunkt

Wir beginnen mit einer Seitenhalbierenden. Diese geht durch eine Ecke, die beiden anderen Ecken sind gleich weit von der Seitenhalbierenden entfernt. Die Seitenhalbierende ist also Schwerlinie bezŸglich der Ecken. Der Eckenschwerpunkt ist der Schnittpunkt von zwei Schwerlinien. Die Sache mit dem FlŠchenschwerpunkt beweisen wir mit dem Prinzip von Cavalieri (Abb. 6). Wir zerschneiden die DreiecksflŠche parallel zur Seitenhalbierenden in (unendlich) dŸnne Streifen. Streifen mit gleichem Abstand von der Seitenhalbierenden haben gleiche LŠnge. Dies folgt aus StrahlensŠtzen. Somit sind diese beiden Streifen bezŸglich der Seitenhalbierenden im Gleichgewicht. Die Seitenhalbierende ist daher auch Schwerlinie bezŸglich der Ecken. Der FlŠchenschwerpunkt ist der Schnittpunkt von zwei Seitenhalbierenden und fŠllt mit dem Eckenschwerpunkt zusammen.

Abb. 6: Prinzip von Cavalieri

3.2      Die Dreihebelwaage

Eine bekannte Denksportaufgabe lŠuft unter dem Namen "The Odd Ball Problem". Darin geht es darum, von zwšlf optisch nicht unterscheidbaren Kugeln durch WŠgen mit einer Zweihebel-Waage (Abb. 7) die eine Kugel zu bestimmen, deren Gewicht vom Gewicht der Ÿbrigen elf Kugeln abweicht. Man weiss nicht, ob die "odd ball" schwerer oder leichter ist. Die eigentliche Denksportaufgabe besteht darin, mit mšglichst wenigen WŠgungen auszukommen.

Abb. 7: Zweihebel-Waage

Das nahe liegende Vorgehen besteht darin, die Kugeln in drei Vierergruppen aufzuteilen und zwei dieser drei Vierergruppen gegeneinander zu wŠgen. Je nach Ausgang der WŠgung werden die beiden Vierergruppen, die in der nachfolgenden zweiten WŠgung gegeneinander gewogen werden, bestimmt, und so verfŠhrt man auch fŸr die dritte WŠgung.

Einfacher geht es mit einer Dreihebel-Waage. Es gibt zwei Konstruktionsmšglichkeiten, eine horizontale und eine vertikale. Physikalisch laufen beide nach demselben Prinzip.

Der geneigte Leser ist eingeladen, sich zu Ÿberlegen, was ãGleichgewichtÒ bei den beiden Waagentypen bedeutet.

Horizontale Dreihebel-Waage: Wir denken uns einen horizontal liegenden Mercedes-Stern, der in der Mitte in einem Kugelgelenk aufgehŠngt oder durch ein Nadelgelenk unterstŸtzt ist. An jeder Sternspitze hŠngt eine Waagschale (Abb. 8).

Abb. 8: Horizontale Dreihebel-Waage


Vertikale Dreihebel-Waage: Riesenrad mit drei Gondeln (Abb. 9).

Abb. 9: Riesenrad mit drei Gondeln

Wir teilen die 12 Kugeln in drei Vierergruppen auf und geben jede Vierergruppe in eine der drei Waagschalen. Wenn nun eine der Waagschalen unten ist und die beiden anderen Waagschalen auf gleicher Hšhe oben, ist in der unteren Waagschale die ãodd ballÒ, und sie ist schwerer. Nun nehmen wir drei der vier Kugeln aus der unteren Waagschale und geben je eine in eine Waagschale. Falls diese im Gleichgewicht bleiben, ist die vierte Kugel die schwerere, ansonsten ist es die Kugel in der wiederum unteren Waagschale.

Falls die ãodd ballÒ leichter ist, geht eine der Waagschalen jeweils nach oben und wir kšnnen analog weiterfahren und schlie§en.

Wir kommen also mit zwei WŠgungen aus.

Mit der Dreihebel-Waage kšnnen wir das ãodd ball problemÒ fŸr 48 Kugeln mit 3 WŠgungen lšsen: wir teilen die 48 Kugeln in vier Gruppen zu je 12 Kugeln auf und legen je eine Zwšlfergruppe in eine Waagschale. Bei Gleichgewicht ist die faule Kugel in der vierten Zwšlfergruppe und wir kšnnen wie oben mit zwei weiteren WŠgungen weiterfahren. Bei Ungleichgewicht erhalten wir ebenfalls die Information, in welcher Zwšlfergruppe die faule Kugel ist (inklusive der Zusatzinformation, ob die faule Kugel schwerer oder leichter ist). Wir kšnnen auch da wie oben weiterfahren.

Bei  Kugeln reichen n WŠgungen mit der Dreihebel-Waage.

Ein ParitŠtsproblem: Nun ist man versucht, eine Waage mit zwšlf Waagschalen zu bauen und das ãodd ballÒ Problem mit einer einzigen WŠgung zu lšsen. Das geht aber in die Hosen: Wir wissen dann nicht, ob die unterste Waagschale die ãodd ballÒ als schwerere Kugel enthŠlt oder die oberste Waagschale die ãodd ballÒ als leichtere Kugel. Das liegt daran, dass 12 eine gerade Zahl ist und wir somit paarweise diametrale Waagschalen haben.

Eine Zwšlfhebel-Waage enthŠlt eben auch Zweihebel-Waagen, Dreihebel-Waagen, Vierhebel-Waagen und Sechshebel-Waagen. Man muss einfach die Waagschalen dazwischen leer lassen.

Bei 11 oder allgemein einer ungeraden Anzahl Kugeln kŠmen wir mit einer entsprechenden Waage mit einer WŠgung durch, weil wir dann nicht gleichzeitig eine unterste und eine oberste Waagschale hŠtten.

3.3      Eine Aufgabe zum Eckenschwerpunkt

Einem beliebigen Dreieck  setzen wir auf den Seiten drei zueinander Šhnliche Dreiecke ,  und  an (Abb. 10). Die Dreiecke dŸrfen nach au§en oder nach innen angesetzt werden.

Abb. 10: Ansetzen Šhnlicher Dreiecke

Dann haben die beiden Dreiecke  und  denselben Schwerpunkt S.

Beweis: Wir interpretieren die Punkte als komplexe Zahlen in der Gau§schen Zahlenebene. ZunŠchst ist dann:

Weiter gilt wegen der €hnlichkeit der angesetzten Dreiecke:

FŸr den Schwerpunkt T des Dreieckes  erhalten wir:


3.4      Der Kantenschwerpunkt

Wir konzentrieren uns zunŠchst auf zwei der drei Kanten (Abb. 11).

Abb. 11: Zwei der drei Kanten

Die beiden Kanten haben je ihren Mittelpunkt als Schwerpunkt. Wir haben nun aber in diesen Punkten unterschiedliche Massen, da die Kanten ungleich lang sind. Der Schwerpunkt dieser beiden Kanten muss also so gefunden werden, dass die beteiligten Hebelarme im umgekehrten VerhŠltnis zu den SeitenlŠngen stehen.

Nun sind die beiden SeitenlŠngen im selben VerhŠltnis wie die dazu parallelen SeitenlŠngen des Mittendreiecks. Die Winkelhalbierende des Winkels zwischen diesen beiden Seiten teilt die dritte Seite des Mittendreiecks im gewŸnschten VerhŠltnis. Da diese Winkelhalbierende auch durch den Schwerpunkt (Mittelpunkt) der dritten Seite geht, ist sie eine Schwerlinie bezŸglich der Kanten. Der Kantenmittelpunkt ist daher der Schnittpunkt der drei Winkelhalbierenden des Mittendreieckes, also dessen Inkreismittelpunkt.

Dieser Punkt ist in der Regel vom Ecken- und FlŠchenschwerpunkt verschieden.

Frage: Gibt es au§er dem gleichseitigen Dreieck noch andere Dreiecke, bei denen der Kantenschwerpunkt mit dem Eckenschwerpunkt zusammenfŠllt?

4        Schwerpunkte beim Viereck

4.1      Eckenschwerpunkt

Der Eckenschwerpunkt E eines Vierecks  ergibt sich als Schnittpunkt der Geraden  und  (Abb. 12). Dabei ist  der Mittelpunkt der Strecke . Vorstellung: Wir denken uns eine Mobile mit gleichen Massen in den Eckpunkten, den Jochen zweiter Ordnung und  sowie dem Joch erster Ordnung . Der Mittelpunkt von  ist der AufhŠngepunkt des Mobile, also der Eckenschwerpunkt. Diesen erhalten wir aber auch Ÿber das Mobile mit den Jochen  und  sowie dem Joch . Der Schnittpunkt der beiden Joche ersten Grades ist also der Eckenschwerpunkt E.

Abb. 12: Eckenschwerpunkt

Frage: Wie verhŠlt sich die Verbindungsstrecke der Mittelpunkte der beiden Diagonalen  und ?

Frage: Wie finden wir den Eckenschwerpunkt eines allgemeinen Tetraeders?

4.2      FlŠchenschwerpunkt

Den FlŠchenschwerpunkt F finden wir ebenfalls mit einer Mobile-†berlegung. Mit einer Diagonale teilen wir das Viereck in zwei Dreiecke und verjochen dann deren FlŠchenschwerpunkte. Im Dreieck ist aber der FlŠchenschwerpunkt gleich dem Eckenschwerpunkt. ZunŠchst zeichnen wir den Stern der Abbildung 13.

Abb. 13: Stern

Der in der Abbildung 13 eingezeichnete Punkt  ist der Schwerpunkt des Dreiecks . Entsprechend fŸr die anderen Punkte . Daher ist der Schnittpunkt der Joche  und  der FlŠchenschwerpunkt F (Abb. 14).

Abb. 14: FlŠchenschwerpunkt

Der FlŠchenschwerpunkt F ist also der Diagonalenschnittpunkt des Viereckes . Dieses Viereck hat es in sich. So ist zum Beispiel die Seite  parallel zur Seite  und ein Drittel so lang. Diese folgt aus der Teilungseigenschaft 1:2 des Dreiecksschwerpunktes sowie StrahlensŠtzen. Das Viereck  ist also das Bild des Ausgangsvierecks  bei einer zentrischen Streckung mit dem Faktor . Bei dieser Streckung wir der Diagonalenschnittpunkt D des Vierecks  auf den FlŠchenschwerpunkt F abgebildet. Das Zentrum der Streckung teilt also die Strecke DF innen im VerhŠltnis 3:1.

Der Mittelpunkt  der Strecke  liegt auf der Geraden  (StrahlensŠtze) und wird bei der zentrischen Streckung auf den Punkt  abgebildet. Das Zentrum der Streckung liegt also auf der Geraden . Ebenso liegt das Zentrum auf der Geraden . Das Zentrum der Streckung ist daher der Eckenschwerpunkt E. Somit haben wir den Sachverhalt:

Im allgemeinen Viereck liegen der Diagonalenschnittpunkt D, der Eckenschwerpunkt E und der FlŠchenschwerpunkt F auf einer Geraden. Der Punkt E teilt die Strecke DF im VerhŠltnis 3:1 (Abb. 15).

Abb. 15: Die Gerade

Der Kantenschwerpunkt liegt nicht auf dieser Geraden.

†ber Vierecke, in denen Kanten- und FlŠchenschwerpunkt Ÿbereinstimmen, siehe [Meixner / Metsch 2004].


Frage: Wie lŠsst sich die Schnittpunkteigenschaft der Abbildung 16 erklŠren?

Abb. 16: Ein Schnittpunkt

4.3      AnsŠtze zur Parkettierung

Spiegeln des Vierecks  an den Mittelpunkten der Seiten des Vierecks fŸhrt zu einer Beinahe-Parkettierung (Abb. 17). Die Spiegelbilder sitzen passgenau. An den Ecken des Ausgangsvierecks  entstehen unterschiedlich gro§e Parallelogramme.

Abb. 17: Unterteilung des Vierecks

4.4      Eine Aufgabe zum Eckenschwerpunkt

Einem beliebigen Viereck  setzen wir auf den Seiten vier zueinander Šhnliche Dreiecke , ,  und  an (Abb. 18). Die Dreiecke dŸrfen nach au§en oder nach innen angesetzt werden.

Abb. 18: Ansetzen von Dreiecken

Dann haben die beiden Vierecke  und  denselben Eckenschwerpunkt E.

Frage: Wie lŠsst sich das beweisen?

Frage: Gibt es eine Verallgemeinerungsmšglichkeit?

4.5      Ein merkwŸrdiges Viereck

In einem beliebigen Dreieck ABC zeichnen wir den Inkreismittelpunkt  und die drei Ankreismittelpunkte  (Abb. 19). So entsteht ein nicht konvexes Viereck .

Abb. 19: Ein Viereck im Dreieck

Dann ist der Eckenschwerpunkt des Viereckes  der Umkreismittelpunkt U des Dreiecks ABC (Abb. 20).

Abb. 20: Umkreis des Dreiecks

Beweisskizze: Die inneren und Šu§eren Winkelhalbierenden des Dreieckes ABC bilden ein Dreieck  mit Hšhenschnittpunkt . Der Umkreis des Dreiecks ABC ist der Feuerbachkreis des Dreiecks . Die Mittelpunkte der Strecken ,  und  respektive der Strecken , , und  liegen diametral auf dem Feuerbachkreis. Daraus ergibt sich die Behauptung.

Literatur

[Meixner / Metsch 2004]     Meixner, T. / Metsch, K.: †ber Vierecke, in denen Kanten- und FlŠchenschwerpunkt Ÿbereinstimmen. Math. Semesterber. 51, (2004) S. 131-145.

 

 

Hans Walser

Mathematisches Institut

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